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26. Juli 2007

Klassische Moderne in der Keramik

m-line (Photo Berena Press)

interview mit der schweizer-keramikerin martina siegenthaler

gabi zaun fertl

was ist deine bezeichnung, bist du keramikerin, künstlerin ...?

ich bin zu einem grossen teil keramikerin und zu einem nicht unwesentlichen teil designerin. ich bin aber sicher keine "freie künstlerin", welche mit den mitteln der keramik objekte herstellt.

wieso nicht?

die freie kunst definiert sich schon lange nicht mehr über das material oder das handwerk. keramik, aus der sicht der kunst betrachtet, war im letzten jahrhundert ein experimentelles nebengeleise der skulptur in der klassischen moderne (mirò, picasso, fontana usw.). ich zähle mich zu den angewandten und bin etwas skeptisch, was die vielbesungene annäherung, durchmischung angeht. natürlich, wenn man so will, oder besser beuys es so wollte, ist heute jeder ein künstler, aber das thema ist eigentlich völlig uninteressant.

gibt es ein problem mit der keramik?

gemessen an anderen bereichen gibt es sicher ein problem. für eine vase sind die meisten leute nicht bereit viel geld auszugeben, ist es doch nur eine vase. die leute bezahlen für ein kunstwerk von einem unbekannten künstler schnell mal 1000 franken, mit der begründung, es gefällt mir halt. in england und amerika ist die situation etwas besser, da die engländer eine reifere keramikkultur haben. nur wenige keramiker erreichten internationale anerkennung (dame lucie rie, hans coper ). in der schweiz kennt man, wenn es hoch kommt, margrit linck, oder gar nur deren weisse vasen.

ist das wirklich so, was die schweiz angeht?

vielleicht habe ich es etwas hart formuliert, jedoch mit absicht... es gibt in der schweiz einige hervorragende keramiker und keramikerinnen. einige holen auch mal einen internationalen preis. auch gibt es ein paar keramikinteressierte, vielleicht sogar hie und da einen menschen der sammelt. aber gibt es einen tinguely der keramik in der schweiz, oder einen le corbusier? nehmen wir die handvoll ch-stararchitekten, es liegt doch nicht nur an der grösse derer "gefässe", dass man sie kennt.

auf was führst du das zurück?

wie ich schon sagte, uns fehlt eine keramikkultur in der schweiz. ich bin der meinung, eine gute form, die obendrauf noch funktioniert, ist alleweil mehr wert als ein mittelmässiges kunstwerk. keramik wird oft gleichgesetzt mit kunsthandwerk (gewerblerisch, kitsch, freizeitkunst usw.einerseits / gebrauchsgegenstand, billige massenware andererseits). es gilt zu fragen, ob eine form gedacht ist für die industrielle fertigung (massenware), oder die manufaktur (massenware, serienware) oder aber als unikat oder limitierte auflage. diese aussage verweist jetzt natürlich auf die marktregeln. ein haute-cuture kleid von dem es nur drei stück gibt, verteilt auf drei kontinente, darf mehr kosten als dasselbe kleid ab der stange. sicher sind die nähte besser genäht, das material erlesener usw. aber letztendlich ist dieselbe idee dahinter.

bist du der meinung, dass dies der grund dafür ist, dass die bis anhin angewandten künstler vermehrt als künstler gelten wollen?

das mag sein, ist aber im grunde ein holzweg. gerade mein beispiel des modeschöpfers zeigt, dass dieser schon lange sein terrain abgesteckt hat. er macht mode. er verkauft sie gut und teuer und er oder sie ist weltbekannt. wenn wir nun die kunstwerke mit den produkten der angewandten-macher gleichsetzen, beschneiden wir ihre funktion, so sie denn noch eine hat.

was ist denn diese funktion?

ich glaube eben gerade nicht funktionieren zu müssen wie etwa die maschinen von tinguely, deren funktionieren nur für die kunst funktioniert.

und diese nichtfunktion macht den hohen preis aus?

nein natürlich nicht. preise diktieren einerseits der markt (angebot/nachfrage) andererseits ein netzwerk von kunstagenten, die diesen markt beeinflussen, indem sie versuchen, stars und -ismen zu kreieren. ich bin wie gesagt der meinung, dass ein angewandtes unikat von guter qualität (ästhetisch-funktional usw.) ebenso seinen preis haben darf und ich wäre froh, wenn dieses unikat, wenn es denn eine vase ist, diese bleiben darf und nicht kunstwerk werden muss um etwas zu gelten.

gibt es schnittstellen zwischen angewandter und freier kunst?

sicher gibt es die, doch ich glaube primär kamen die anstösse von der freien kunst her. weil sie sich dauernd von zwängen zu befreien versucht, eröffnet sie sich neue sichten. heute ist natürlich das meiste gesagt und die mode variiert beliebig die themen. ein werk der konkreten kunst zum beispiel will eine art ding an sich sein. hier sind die komplexesten fragen anzutreffen, welche schon zwischen plato und aristoteles ausgetragen wurden. form/inhalt contra form=inhalt. bei einer vase ist der inhalt zum glück ausserhalb des dinges vase zu suchen.

wo siedelst du deine keramik an?

du meinst stilistisch? ich glaube im 20. jahrhundert. die bauhausmeister (lindig,bogler marcks)

bauhauskeramik

reduzierten zwar die formen und die decors bleiben jedoch der "töpferei" irgendwie treu. ich gehe eher den weg der konstruktion und versuche mit meinen schnitten die geometrie der linie in den kreis der scheibe zu integrieren. die töpferscheibe entspricht in der zweidimensionalität dem zirkel, es entstehen immer runde formen. bei der späten hedwig bollhagen habe ich ansätze gefunden, die in meine richtung weisen.

h.bollhagen

ich bin der meinung, du gehst sogar noch weiter, ich sehe ansätze der dekonstruktion in deinen sachen.

du hast recht, ich schneide und setze die teile neu zusammen, so etwa beim "hörndligödu", bei dem die assoziation zu einem stierkopf entsteht, was gar nicht meine absicht war. meine dekonstruktionen sollen zeigen, dass die "zierde" bereits teil des gegenstandes sein kann und so plausibler wirkt, als wenn ich eine schildkröte auf eine vase modelliere.

hördligödlä

wie ist dein verhältnis zu hans coper und lucie rie?

nun, hans coper war für mich das aha-erlebnis. ich habe damals das buch von tony birks durchgeblättert und bin das erste mal auf eine schwarze spatenvase von coper gestossen. lucie rie entspricht mir weniger.

ich möchte nun auf dein verhältnis zu glasuren zu sprechen kommen. du hast einmal gesagt, wollte ich glänzende oberflächen, könnte ich mich direkt bei den glasbläsern melden.

in der tat bin ich keine freundin von glasuren. ich mag die natürlichen oberflächen der verschiedenen tonarten. ich mag die oberflächenbearbeitung mit feuer und rauch. ich mag gewisse engoben, ich mag auch den seidenglanz von sinterengoben. ich kann oder muss da mit glasuren leben, wo es um die wasserundurchlässigkeit geht, meist jedoch im gefässinneren. ich gehöre zu denen, die sichtbeton in der architektur schön finden, sofern die schalung sauber ausgeführt wurde. für mich ist die textur eines gefässes sehr wichtig, ich zeige auch bewusst montageübergänge. ich kann aber durchaus gummi, metall oder glas in einen gegenstand integrieren, wenn es mir sinnvoll erscheint. ich lege mich nicht puristisch auf die keramik fest.

du hast den begriff "minimal point" geprägt kannst du uns etwas darüber sagen?

nun es ist eine art credo für mich, an das ich mich aber bei weitem nicht immer selber halte. je älter ich werde, umso mehr habe ich das bedürfnis nach ruhe, sowohl optisch wie auch akustisch. "minimal point ist minimal point". diese tautologie bringt den begriff selber auf den punkt. lass etwas das sein was es ist.

hast du beispiele dazu?

ja, nimm zum beispiel eine delft vase. weisses porzellan mit blauem blumenstrauss auf dem gefäss. oder eine tapete mit blumenmuster wie man sie in frankreich oft antrifft, auf der ölbilder wiederum mit blumen hängen. das sind beispiele, die genau das extreme gegenteil von minimal point sind.

und das gegenteil?

ich baue z.b. vasen für eine bestimmte pflanze. eine "kiste" für katzengras oder eine pagode für schachtelhalme usw. oder aber ich nehme ein geistiges quadrat und konstruiere eine teekanne hinein.

pagode

man sieht deiner arbeit an, dass du eine beziehung zu pflanzen hast. was bedeutet dir dein garten?

mein garten und meine blumen sind mir sehr wichtig und nehmen auch viel zeit in anspruch. ich mache täglich meinen rundgang, um festzustellen, welcher stock demnächst zu blühen beginnt. wenn ich ein gefäss entwickle, habe ich meist eine bestimmte pflanze im kopf.

was machst du, wenn du einen blumenstrauss von der floristin erhältst?

ich achte ihr gewerbe und ihre arbeit. wenn aber die ersten blüten welken, ist für mich die zeit gekommen, das gebinde zu "dekonstruieren" und neu an die entsprechenden gefässe zu verteilen. meine krux ist, dass ich meine prototypen am liebsten für mich selber benutze, ja im grunde für mich selber produziere.

wenn man so vor deinen gefässen, den regalen steht, dominiert das schwarz. bist du ein gruftie?

erstens ist das meiste nicht schwarz, aber da beginnt auch schon das problem. für die meisten leute ist dunkel eben dunkel. um sattes grün wirken zu lassen, gibt es nun mal nichts besseres als schwarz. schwarz absorbiert das licht und irritiert das auge nicht zusätzlich. mit anderen worten, du schaust auf die pflanze und das gefäss bleibt diskret im hintergrund. eine orange vase killt für mich jeden versuch einer pflanze, auch farbig sein zu wollen.

ist das was du machst eine schule oder eine lehre?

du meinst wie im ikebana? nein ist es nicht. meine einstellerei bedeutet absolut nur das was sie ist und das ist der unterschied. nur mein gefühl entscheidet die richtung in die ein ast oder ein halm eingestellt wird. ich achte lediglich auf den primärraum, das gefäss und die pflanze. was herauskommt ist absolut subjektiver natur.

...ist eben martina siegenthaler, besten dank für das interview