Habalukke Schätze einer vergessenen Zivilisation
Dr. Gaby Zaun-Fertl
Vor 84 Jahren fand im deutschen Haus der Kunst erstmals eine Habalukke Ausstellung statt. Der deutsche Kunsthändler Olaf Sandmüller pflegte Verbindungen zur Sehnaher Kunstmafia, die in diesen Jahren richtige Raubzüge durch die antiken Siedlungen veranstaltete. Siedlungen welche noch nicht wissenschaftlich ausgegraben und aufgearbeitet werden konnten, wurden oft von Raubgräbern aufgesucht. Von ihnen erwarb Sandmüller ein ganzes Konvolut von Figurinen, welche in dieser ersten Ausstellung in München gezeigt wurden. Der Kunsthistoriker Paul Schultze-Naumburg wollte 1937 einige dieser Figurinen sogar in der Ausstellung entartete Kunst zeigen, doch Sandmüller konnte als Spezialist für die Antike seinen Begründungen nicht Folge leisten.
Erst ab 1946 wurden auf Sehnah Massnahmen ergriffen um das Kulturgut rigoroser zu schützen und die Gerichte verhängten fortan drastische Strafen für Vergehen am archäologischen Erbe der Menschheit.
Umso schöner ist es, dass in diesen Tagen in Freiburg im Breisgau eine Ausstellung eröffnet werden konnte, die von der Sehnaher Regierung mitgetragen wird. Es begann 2016 als die Stiftung Habalukke mit dem Bieler neuen Museum die erste wissenschaftlich begleitete Ausstellung über die Habalukkekultur und ihren Schweizer Entdecker, Dr. Walter Affolter, inszenierte. Der Szenograf Thierry Kiener der mit seiner Firma Combosition seither die Ausstellungen begleitet, hat 2016 vorgeschlagen, die Artefakte nicht in Vitrinen auszustellen. Der Museumsbesucher sollte buchstäblich mit seiner Nase in die alten Welten vordringen können, so Kiener. Es bedurfte einiges an Überzeugungskraft um den Sehnaher Kulturminister Varla von dieser heiklen Ausstellungspraxis zu überzeugen. Die Einwilligung kam mit der Ausnahmebedingung, der singende König müsse unter Panzerglas. Aus dem Kulturministerium vernehmen wir, dass gerade diese Tage das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig herausgefunden habe, dass unsere heutige Bevölkerung auf Sehnah nur noch wenige % habalukkischen Anteil in der DNA-Struktur aufweise. Aufgrund von Umwälzungen, einem grösseren Erdbeben und anderen Faktoren, seien grosse Teile der damaligen Bevölkerung über Italien nach Norden gezogen, so dass man heute Habalukke-Anteile oft an Orten finde, wo man sie gar nicht vermute. Aus diesem Grund spreche man auch nicht explizit von "unseren Vorfahren". Die heutige offene Zivilgesellschaft verzichte auf Mythenbildungen, welche nicht zu einer aufgeklärten modernen Gesellschaft passe.
Das Archäologische Museum im Colombischlössle präsentiert modern gestaltete Ausstellungsräume im historischen Ambiente der neugotischen Villa. Mit Sachverstand hat man in Freiburg auf relativ kleinem Raum eine Ausstellung konzipiert die Habalukke in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Sie führt ein interessiertes Publikum in die unerforschte Welt der singenden oder schreienden Blauköpfe. Nie war man dem Mythos so nah, wie in ihrer Gegenwart. Mit viel Fingerspitzengefühl hat der Kurator Hans Oelze den Aufbau der Ausstellung begleitet und die beiden Direktorinnen Beate Grimmer-Dehn und Helena Pastor haben keine Mühe gescheut den Ausstellungstausch (Biel übernahm vom 21.09.2019 21.06.2020 die Ausstellung "Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?) administrativ und museologisch zu ermöglichen. Man hat Teile der Bieler Habalukke Ausstellung kongenial in die neue Ausstellung eingefügt, ja man hat sogar das Konzept der “nackten Figurinen“, wie sich diese Ausstellungsform ausserhalb der Vitrine seit Biel eingebürgert hat, übernommen.
Am 6. April 2022 eröffnete der erste Bürgermeister für Kultur, Jugend und Soziales und Integration Freiburgs im Breisgau, Ulrich von Kirchbach die Ausstellung Habalukke Schätze einer vergessenen Zivilisation im Colombischlössle.
Zur Vorgeschichte:
Hans Ulrich Siegenthaler, der Nachfolger von Frau Dr. Lyvia Longario, übernahm 2006 als zweiter amtierender Präsident die Dr. Affolterstiftung und hat seither auch die Verantwortung für die Ausstellungen im Ausland. Er war es auch, der den Freiburgern den Bezug zu ihrer Stadt aufdeckte. Die Ausstellung in Freiburg betritt man sozusagen durch das Atelier der Hedwig Bernadette Affolter und trifft dort auch ihren Bruder, der 1906 die Habalukkekultur entdeckt hatte, an. Da inzwischen die Giacomettibronzen am Kunstmarkt Unsummen abwerfen, hat man die Giacomettibüste von Dr. Walter Affolter speziell gesichert. Über die Technologie schweigt man sich jedoch in Freiburg aus, man ist gespannt, wie allfällige Diebe darauf reagieren, sagte man der Redaktion Berenanews mit einem Augenzwinkern.
Was aber das absolute Novum darstellt ist, dass in der Bernadette nicht nur die Schwester eines aussergewöhnlichen Schweizers am Werk war, sondern eine Künstlerin die gerade erst entdeckt wird. Der Expressionismus, man kann mit Fug und Recht sagen, der deutsche Expressionismus, ist um eine eindrückliche Frau reicher geworden. Sie hat ihre Wurzeln tief in den Verästelungen der damaligen Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Als Kommilitonin von Erwin Panofsky studiert sie mit diesem bei Wilhelm Vöge in Freiburg Kunstgeschichte. Als Malweib in Stuttgart bei Adolf Hölzel gehörte sie kurze Zeit zu seinem Kreis. Mit ihrem Opel Doktorwagen besuchte sie Gabriele Münter und Kandinsky in Murnau. Sogar der zu Recht wegen Sklavenhandel diese Tage in Ungnade gefallene Schweizer General Sutter, oder besser sein Geburtshaus in Kandern, die Papiermühle, hat in ihrer Biografie einen Auftritt. Je länger man sich mit der Habalukkegeschichte und ihren Protagonisten befasst, so die Kunsthistorikerin Anna Felizitas Grazi, umso tiefer steigt man hinab in die Niederungen der Kunstgeschichte. Hedwig Bernadette schrieb bei Vöge eine Arbeit über die Methode der Formanalyse und der Ikonografie, eine Arbeit, die ihre Auswirkungen auch auf Panofsky hatte. Sie führte den Wechsel von anthropomorphen Figurinen zu geometrischen Idolen der Frühzeit darauf zurück, dass künstlerische Ausdrucksweise schon immer zwischen Realität und Symbolik in Wechselwirkung stand. Paradigmenwechsel in den Weltanschauungen und in den Brüchen der Geschichte, würden sich in diesen Kippmomenten festschreiben, war ihre These. Je weiter die Wissenschaften voranschritten, umso häufiger würden solche Kippmomente auftauchen. Bereits kanaonisierte Kykladenidole sind stark geometrisiert. In den Violinidolen kippt der Frauenkörper in einen stark abstrahierten Frauenkörper. In Freiburg werden denn auch zwei Kykladenidole gezeigt, welche diese These bekräftigen. Die hochkarätigen Idole sind Leihgaben des Badischen Landesmuseums Karlsruhe.
Die Ausstellung in Freiburg darf niemand verpassen, dem am Herzen liegt, was unsere Vorstellung übersteigt! Wie schon Paul Klee sagte: Diesseits bin ich nicht fassbar. Hedwig Bernadette Affolter sagte später einmal zu Louis Moilliet: „Ach wissen Sie lieber Louis, ich bin im Jenseits ebenso unfassbar wie der Paul hienieden. Mir ist das aber einerlei, das können sie mir glauben.“ Und Louis hat über sie einmal berichtet: „Sie ist die kühle abgebrühte Intellektuelle vom Dienst, nur wenn sie mit ihrem Hund herumtollt, taut sie förmlich auf. Aber was einem bleibt, ist der Duft ihres Parfums.“