the best offre
Kleiner Essay über einen Film der mehr hergibt als blosses Kino
Dr.Anna Felizitas Grazi
Wer sich ein wenig mit der Thematik der Junggesellenmaschinen auskennt weiss, dass damit nicht ausschliesslich Masturbationsgeräte gemeint sind. Marcel Duchamp benutzte den Begriff ungefähr ab 1913 im Zusammenhang mit Teilen seiner Arbeit, die er 1915 bis 1923 zum Großen Glas zusammensetzte. Junggesellenmaschine JGM (französisch „Machine Célibataire“, englisch „Bachelor Machine“)
Als wesentliche Funktion einer JGM könnte man sagen, dass sich unten der Junggeselle befindet und oben die Braut. Zwischen ihnen besteht eine mystische Anziehungskraft, welche jedoch nicht in einer heiligen Hochzeit (Hieros gamos) zur Erfüllung kommen darf. Unter einer heiligen Hochzeit verstand man von alters her eine Verbindung zwischen einem Gott und einem Menschen. In der ägyptischen Mythologie kommt noch das Inzestverbot hinzu. In vielen Darstellungen sieht man die Göttin Nut oben als Himmelszelt (Ich bin über euch und in euch. Meine Ekstase ist in eurer, meine Freude ist, eure Freude zu sehen.) Nut war ein Kind des Luftgottes Schu und der Feuchtigkeit Tefnut. Sie liebte ihren Bruder Geb sehr, doch ihr Vater war damit nicht einverstanden. Er stellte sich zwischen die beiden und hob Nut hinauf in den Himmel, wo sie fortan als Himmelsgöttin lebte, während ihr Vater Schu als Luftgott zwischen ihr und ihrem Geliebten Geb, dem Erdgott stand.
Dies sind die Grundprinzipien der JGM. Bei Duchamp könnte man die Schokoladenreibe in zwei wesentliche Funktionen aufteilen. Zum einen die wohltuende Funktion, welche aus der "geriebenen" Süssigkeit der Schokolade abgeleitet werden kann, zum anderen die Kastrationsangst. Der Sohn fürchtet den Vater, welcher mit der Kastration droht. Dieser ödipale Mythos wird in der Theogonie des Hesiod gegen den Vater gedreht. Der Sohn Chronos entmannt auf Geheiss der Mutter den Vater Uranos mit der Sichel Adamant. Nach ödipalem Muster verlangt nämlich der Sohn nach der Liebe zur Mutter und wird vom Vater "kastriert". Aus dem “Sumpf“ dieser Urängste entstehen quere Verbindungen.
König Laios von Theben hatte einst die Gastfreundschaft des Königs Pelops missbraucht, indem er dessen Sohn Chrysippos entführen wollte, weil er sich in den Knaben verliebt hatte. Das Orakel von Delphi sagte Laios daraufhin voraus, falls er je einen Sohn zeugen sollte, werde ihn dieser töten und seinerseits des Laios Gemahlin heiraten. Für einen König, der eine Dynastie gründen oder weiterführen soll, ist dieser Spruch natürlich eine Katastrophe. Laios lässt also im Einverständnis mit seiner Frau Iokaste dem Neugeborenen die Füße durchstechen und zusammenbinden und ihn von einem Hirten im Gebirge aussetzen.
Die Kastration im Ödipusmythos wird symbolisch im Durchstechen der Füsse vollzogen. Mit solchen Füssen ist kein Vorwärtskommen, ebenso unterbindet die Kastration die Prokreation.
Der Film von Tornatore “das höchste Gebot/the best offer“ weist schon im Titel ebenfalls eine Zweideutigkeit auf. Zum einen das Gebot bei einer Auktion den Zuschlag zu erhalten (König werden), zum anderen das Inzestverbot (als höchstes Gebot) welches im übertragenen Sinn auch ein Verbot in Sachen hieros gamos darstellt, denn die Verbindung eines Menschen mit einem Gott ist ein Sakrileg welches ein Opfer nach sich zieht. Das Konstrukt kann auch in der Trinität und im Kreuztod nacherzählt werden. Verwandt mit der Kastration ist auch das Bilderverbot. In vielen Mythen wird schon das Anschauen einer Gottheit bestraft. So z.B. der Blick auf die Medusa.
Ob Tornatore bewusst oder unbewusst das Thema der JGM betritt sei dahingestellt. Bereits in seinem Film “Der Zauber von Malèna“ steigert sich der jugendliche Renato in eine Obsession. Renato stiehlt Malènas Unterwäsche, und zum Entsetzen seiner Eltern beginnt er, sexuell über sie zu phantasieren. Wie Odysseus muss der Mann von Malèna in den Krieg ziehen. Um die kranke Mutter und sich durchzubringen wird sie zur Hure. Freier und Gesellschaft werden in ihrem Machtverhalten gleichgesetzt, die Frau ist auf sich allein gestellt, da der Mann abwesend ist und der Junge (Junggeselle Renato) lebt in seiner Phantasiewelt als Beobachter.
In “the best offer“ lebt der Hauptdarsteller und Auktionator Virgil Oldman (alter keuscher Junggeselle) in einer Scheinwelt. Die Kunst wird zur Mutter aller Dinge und die „Schwester“ Nut hängt als barocke Hängung einer Unzahl von Frauenporträts über dem alten in einem Ohrensessel sitzenden Junggesellen in einem Saferoom versteckt, hinter einer Wand von Handschuhen. Die Handschuhe, Symbol der unbefleckten Berührung. Virgil trägt sie immer. Vielleicht kommt einem in diesen Tagen auch “der Tod in Venedig“ in den Sinn. Der Junggeselle muss/will in der Position des Beobachters verweilen. Nur im Verbot/Gebot erblüht die Passion und wird Obsession. Diese Mechanik wird im Film durch einen ausgewiesenen jungen Mechaniker (dieser soll für Virgil einen antiken sprechenden Roboter restaurieren) und einen im Stich gelassenen, verschmähten “Vatergott“ durchbrochen. Der “Vatergott“ in der Rolle des in den Augen von Virgil unbegabten Malers Billy, den der alte Donald Sutherland wunderbar wiedergibt und der den Wasserträger in den Betrügereien des Duos Virgil/Billy abgibt. Mit solchen Archetypen ist selten gut Kirschen essen. Der beleidigte Gott straft sofort, wenn auch mit miesen Tricks. - In allem ist die Fälschung zu Hause. Dies könnte ein weiterer Hauptsatz in der Mechanik der JGM sein.
Der Plot ist ebenso komplex gestrickt, wie das grosse Glas von Duchamps.
Da die Handlung des Films auf Wikipedia nachzulesen ist, wird hier auf den ausführlichen Inhalt verzichtet. Wichtig ist, dass die Frauenrolle zuerst dem Mythos gerecht wird. Als via Telefon eine echte Frau in das Leben von Virgil tritt, wird er immer mehr auf die Ebene der Realität geführt. Oldman, der Name ist wohl Programm, verliebt sich in die Stimme der Frau, welche vorgibt, an Agoraphobie zu leiden und seit dem Tode ihrer Eltern das Haus nie mehr verlassen, noch sich jemandem gezeigt zu haben. Sie wolle den geerbten Hausrat, lauter Kunstgegenstände, schätzen, katalogisieren und versteigern lassen und der Vater habe ihr gesagt, der einzige, der das gut mache sei Mr. Oldman.
Wir befinden uns auf verschiedenen Ebenen, welche sich, je mehr sie Realität zu scheinen werden, in Metaebenen verwandeln.
Oldman trickst die Frau aus und beobachtet sie durch einen Spalt zwischen zwei Liebenden einer Marmorplastik (Adam und Eva?). Relativ schnell ändert sich dann das “Programm Agoraphobie“ und Virgil verlässt seine Maschine und steigt auf das Leben um. Doch wie könnte es anders sein, das Leben entpuppt sich als Fake. Ein Dreigespann aus Billy, einer jungen Frau aus dem Girlset des jungen Mechanikers und diesem selber, führen den Alten auf‘s Glatteis. Er tappt kläglich in die Falle.
Als er das Portrait von Claire in seinen Safe zu den anderen Frauen bringen will, ist dieser Safe leer.
Nur der Maschinenmensch steht im Raum und als Virgil sich ihm nähert löst eine Fadenfalle den Mechanismus aus, der den Edison Phonografen zum Sprechen bringt
Der amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison persönlich sprach als erste Tonaufzeichnung den Kinderreim „Mary had a little lamb, whose fleece was white as snow and everywhere that Mary went, the lamb was sure to go.“. Mit seinem Phonographen hatte er die erste Maschine erfunden, die es möglich machte, Töne aufzunehmen und wieder abzuspielen. Als Tonträger benutzte Edison Wachswalzen. Im Juli 1879 wurde seine Erfindung patentiert. Noch hörte sich alles recht blechern an.
Die Stimme auf der Walze sagte: „Hinter jeder Fälschung verbirgt sich auch etwas Echtes, ganz ihrer Meinung. Deshalb werden sie mir fehlen, Mister Oldman.“
Und so geht Claire in den Gedanken des Virgil Oldman überall mit hin, wie das weisse Lamm mit Mary. Das weisse Vlies des Lamms und die weisse Wand im Saferoom gehen eine, wenn auch gesuchte, Symbiose ein.
Die echte Claire entpuppt sich am Ende als eine kleinwüchsige Frau mit Asperger Syndrom, die immer wenn Virgil das Restaurant gegenüber dem Haus der falschen Claire betrat, am Fenster sass und wirre Sachen aufzählte. Diese wahre Claire hat alles genau registriert, sogar das Filmset das den Film unter Tornatore gedreht hat. Das Syndrom hebt diese Frau, welche offensichtlich in kein Beuteschema von Junggesellen passt, in den Status einer wahren Göttin die nur aufzeichnet, was wirklich ist. So gesehen steht sie über den Dingen.
Interessant ist auch die Szene, in der Virgil in der Klinik, in der er nach dem Zusammenbruch seiner Phantasie landete, in einem sogenannten spacecurl herumgedreht wird. Er und die Maschine werden eins um das Gefühl des realen Bodens wieder zu finden. Die Symbolik des Gyroskops verweist auf die Frage menschlicher (geistiger) Navigationsfähigkeit in der Realität.
Geoffrey Rush als Virgil Oldman
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