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DOCUMENTA 12

Ist die Moderne unsere Antike?

Nein!

Was ist das bloße Leben?

Nichts

Was tun?

Stoffe wechseln

(K.C. Broom)

Tagesspiegel Interview mit R.Buergel (Ausschnitt)

Der Konflikt passt zum Walter Benjamin und Giorgio Agamben entlehnten Motto „Bloßes Leben“, das sie unter anderem der Documenta XII gegeben haben. Was meinen Sie damit genau?

Dieses Thema geht alle an, die gesamte deutsche Mittelschicht, die vom sozialen Absturz oder Abgleiten bedroht ist und sich der Auseinandersetzung nicht stellt. Alter, Tod, Krankheit, Kindererziehung – alle diese Themen konfrontieren mit Unsicherheit. Aber die Menschen denken lieber an Favelas, Palästinenserlager, Kindersoldaten im Kongo, Prostituierte in Bombay. All das darf sein, aber bitte nicht Arbeitslosigkeit in Kassel. Hier kommt die Ausstellung im ganz emphatischen Sinn zu ihrem Recht: Sie affiziert den Gesellschaftskörper.

K.C. Broom hat kürzlich in TV Berena (Kulturfenster) zu den Leitthemen der Documenta 12 gesagt:

Erst wenn kein Auto mehr fährt, kein Flugzeug mehr fliegt, kein Tanker mehr schwimmt, wird die Moderne Antike sein. Nicht die unsere zwar, denn wir haben keine eigene mehr verdient.

(und angesprochen auf die Aussagen im Tagesspiegel)

Woher weiss Herr Buergel, dass die Leute lieber an Favelas etc. denken? Das ist doch die bürgerliche Presse, die die Leute mit Favelas, Kindersoldaten etc. abzulenken versucht. Die Leute erleben nun aber täglich selber, dass es in ihrem Umfeld nur noch Job-Holder, Job-Loser und allen voran Job-Owner gibt. Und es sind primär die Job-Owner, die sich Kunst leisten. Keiner soll mir erzählen, dass die Documenta gegen Arbeitslosigkeit oder sozialen Absturz ins Feld zieht. Ich empfehle den Künstlern, frei nach Peter Lehner (CH Lyriker), "Stuhlgänger verstopft euch!" Keine Documenta heisst zwar für Kassel ein paar Arbeitslose mehr, dafür ein paar Heuchler weniger im Gesellschaftskörper.

Die Kunst ist nur noch die Etikette auf einer Weinflasche, man kann sie nicht mehr trinken.

Und zur Documenta als Ferienspass: Besuchen Sie lieber die Isola Bella in Norditalien, was wollen Sie in Kassel, da können Sie eben so gut nach Travemünde fahren.

Was ist das blosse Leben?

Giorgio Agamben „Homo Sacer“

Quelle Wikipedia

Seit Ende der 1980er Jahre greift Agamben dezidiert politische und staatsrechtliche Fragen auf. Er zeichnet ein Bild des heutigen Menschen in seiner Lebensform, das das euphemistische Bild des globalen Dorfs konterkariert: Für Agamben sind die postmodernen Transiträume und Wohncontainer, die Konzentrations- und Flüchtlingslager Paradigma und Konsequenz der westlichen Politik seit der Antike.

Im Zentrum seiner jüngeren Schriften steht die Kulturgeschichte der politischen Ein- und Ausschließung. In seinem Hauptwerk, der Trilogie „Homo Sacer" (Einaudi 1995ff.) geht Agamben aus von einer rechtlich verfassten Spaltung der Identität in ein vergesellschaftetes Wesen (zoon politikon) und das „bloße Leben“ (Il potere sovrano e la nuda vita), die er auf Aristoteles' folgenreiche Unterscheidung zwischen „bios“ und „zoé“ in der Nikomachischen Ethik zurückführt und im politischen Denken des Westens bis heute aufzeigt.

Ausgehend von so unterschiedlichen Ansprechpartnern wie Walter Benjamin und Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hannah Arendt („Wir Flüchtlinge“) und Michel Foucault entwickelt Agamben eine Philosophie von rechtsfreien Räumen und der Reduzierung von Menschen auf ihr „nacktes Leben“ (als Beispiel dienen ihm vor allem die nationalsozialistischen Konzentrationslager). Demnach streben die Mächtigen seit der Antike nicht nur die Kontrolle der Individuen als gesellschaftliche Wesen an, sondern auch die Vereinnahmung ihres biologischen Lebens. Die Folge ist eine latente, für ständig wachsende Teile der Weltbevölkerung auch offene, staatsrechtlich erzwungene Spaltung der Existenz in Mensch und Zugehörigkeit. Wie vor ihm Walter Benjamin, Jacob Taubes und Jacques Derrida erkennt Agamben ihre konsequenteste Ausformung im Freund-Feind-Denken des Juristen Carl Schmitt, der federführend für die Nürnberger Rassegesetze war und zugleich neben Heidegger zu den wirkungsreichsten Intellektuellen der Weimarer Republik zählte.

Die Figur des Homo Sacer aus dem römischen Recht dient als Konfiguration dieser Unterscheidung zwischen bios und zoé. Wie der ständige Begleiter des christlichen Abendlandes, der „Ewige Jude“, wandert der Homo Sacer hier durch die Jahrhunderte westlicher Geschichte. Agamben hält sich an den Doppelsinn des Worts Sacer: heilig und ausgestoßen (vogelfrei), und erkennt in diesem Konzept einen rechtsfreien Raum, der nicht erst mit der Ausstoßung des „bloßen“, des fremden und des anderen Lebens beginnt, sondern in die Geschichte der westlichen Selbsterfahrung eingeschrieben ist.

Diese Entwicklung bezeichnet Agamben in Anlehnung an Michel Foucault als Biopolitik: Es entsteht ein totalitärer Zugriff auf jeden Einzelnen, wovor auch Demokratien nicht gefeit sind. Im Gegenteil: Als Antwort auf globale Fluchtbewegungen und Terror werden Grund- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. Als Beispiel dafür sieht Agamben die Flüchtlings-Camps in der Europäischen Union und das amerikanische Gefangenenlager in der Guantánamo-Bucht auf Kuba. Agamben zufolge wird hier der permanente Ausnahmezustand zum neuen Regulator des politischen Systems - nach dem Zeitalter der Kriege zwischen souveränen Staaten. Er wird in diesem Schreckens-Szenario neben Staat, Territorium und Nation zum vierten Element der politischen Ordnung. Im Jahr 2003 lehnt er aus diesem Grund einen Ruf an die New York University ab.

(Altgriechisch; lat.: vita) bedeutet Leben auf griechisch, genauergesagt „die einfache Tatsache des Lebens, welche allen Lebewesen gemein ist" (also Pflanzen, Tieren, Menschen und Göttern)“.

Das Lebendigsein wird durch eine Seele begründet (Platon, Phaidon 105 c-d)). Leblose Dinge haben dementsprechend keine Seele. Der Begriff zoe kann aber darüber hinaus auch eine höhere Form des Lebens bezeichnen, die mehr als nur reine Erhaltung der Art ist. So z.B. ein Leben im Staatsdienst, welches Sinnerfüllung anstrebt (Dionysius v. Halikarnass 3, 17). Diese Definition findet sich auch bei Aristoteles, der sagt, dass der Mensch nicht nur geboren wurde um zu leben, sondern um des guten Lebens willen (eu zen), welches er mit Glück (eudaimonia) gleichsetzt (Aristoteles, De partibus animalium II 10). Bei Platon ist die zoe an ein Schicksal gebunden und kann gut oder schlecht gelebt werden (Platon, Der Staat VII 521 a). In der stoischen Philosophie wird der Begriff zoe, im Sinne des physischen Lebens, auf den ganzen Kosmos ausgebreitet. Bei den Stoikern muss der Mensch allerdings die zoe kata physin (ist identisch mit dem Begriff "eu zen") mit Hilfe der eigenen Vernunft erreichen.

Im Vergleich dazu bedeutet bios (ebenfalls aus dem Altgriechisch ) "das spezifische Leben, das einer Gruppe oder einem Einzelwesen eigen ist".