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14.6.2020
Andrea Curd Sauerberg
In der Schweiz ist die Migros eine Institution. Ihr Gründervater Gottlieb Duttweiler besass ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein und strebte unter dem Schlagwort "Soziales Kapital" eine freie Marktwirtschaft an, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst zu sein hat. Auch wenn die heutige Konzernleitung zuweilen unter starken Konkurrenzdruck gerät und der Genossenschaftsgedanke neoliberale Geister immer wieder zu Attacken gegen den Konzern blasen lässt, steht die Migros stramm im Wind. Diese Tage gibt die Konzernleitung zu reden, weil sie die Mohrenköpfe der Firma Dubler kurzerhand aus dem Sortiment genommen und als Ersatz nur noch die eigenen Schaumküsse anbietet. Der Schritt wurde provoziert durch die Tatsache, dass der Chefdubler sich weigert den Namen Mohrenkopf zu ändern.
Rassismus ist längst zu einem Überbegriff geworden der vieles beinhaltet, nur nicht eine Rasse, die gibt es nämlich so nicht. Aber das ist bereits Allgemeinwissen. Ausgelöst durch die brutale Ermordung von George Floyd ist das Thema einmal mehr neu aufgeflammt.
Unsere Wohlstandsgesellschaft basiert zum einen auf Innovationen und Unternehmergeist und zum anderen auf sozialen Unterschieden und leider immer noch auf Ausbeutung, insbesondere auf Umwegen im Ausland. Nicht alles ist Fair Trade, was in den Handel kommt. In der Schweiz gibt es zwar selber Armut und Leute ohne Rechte, wie z.B. die Sans-papiers. Der Bevölkerung geht es jedoch im Vergleich mit dem Ausland eher überdurchschnittlich gut. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass an der Urne eher eine bürgerlich gesinnte Schweiz dominiert.
Die linke Seite bedient in der Regel eher eine Minderheit mit ihren sozial-engagierten Themen. Der Kampf um mehr Gerechtigkeit wird zuweilen mit viel Geld von rechts bekämpft, wie man gerade in dieser Zeit bei der Konzernverantwortungsinitiative sieht. Dem Schweizer "Wohlstandsbezüger" wird beinahe täglich vor Augen geführt, auf wessen Mist sein Wohl gewachsen ist. - Wirtschaft, Wachstum, Arbeitsplatz und der Sicherheit.
Sozialgeldbezüger ihrerseits werden absichtlich stigmatisiert, oft als Schmarotzer oder gar als Sozialmüll (Maucher, Ex Nestlé) hingestellt und Flüchtlinge als Wirtschaftsflüchtlinge.
Die linke Seite ist ihrerseits angewiesen auf Vorfälle, mit denen sie ihre Sozial- und Umweltthesen untermauern kann und aus denen sie ihr politisches Kapital zieht. - Beispiele sind Umweltkatastrophen bezüglich Klimaerwärmung, aber auch andere hausgemachte Katastrophen wie Seveso, Schweizerhalle, Tankerunglücke, Plastikinseln im Meer, Tschernobyl, Fukushima, vergiftetes Grundwasser, Duldung von Kinderarbeit, die Folgen von Pandemien auf die Löhne des Pflegepersonals, oder eben die Ermordung eines Schwarzen durch weisse Polizei in den USA um eigene Gesetzgebung zu thematisieren.
Wenn sich der Rhein rot färbt und alle Fische verenden, spricht man von einem Fanal.
Warum also diese Kontroverse um den Mohrenkopf? Was steckt dahinter? Auslöser war ohne Zweifel die Ermordung George Floyds. Wenn weltweit die Leute auf die Strasse gehen ist auch der Tod von Floyd als Fanal zu werten. Wie berechtigt ist demnach die Forderung, den Namen einer "harmlosen" Süssspeise zu ändern?
Findige Köpfe haben das Wort Mohr etymologisch zu ergründen versucht, um es allenfalls zu entschärfen, zu entpolitisieren. In den beiden Einträgen in Wikipedia "Mohr" und "Mohr Heraldik" wird man fündiger als einem lieb ist. Es ist sogar schwer zu ergründen ob die in den alten Wappen, und es gibt zahlreiche Familienwappen und Gemeindewappen mit Mohren, gekrönte und ungekrönte, einen rassistischen Ansatz beinhalten. Bei den sogenannten "schwarzen Madonnen" kann man davon ausgehen, dass sie nicht rassistisch gemeint waren, sondern dies allenfalls damit zu tun hatte, dass je mehr südlich etwas stattfindet umso dunkler wird die Hautfarbe. Aber auch da lohnt sich ein Blick in Wikipedias "schwarze Madonna". Es gibt aber zuweilen auch den schwarzen Jesus. - Eine neue Fernsehserie, die Jesus als Schwarzen darstellt, sorgt derzeit in Amerika für Proteste. Der "Black Jesus" flucht und raucht Haschisch. Christen sind besorgt, dass die Serie den christlichen Glauben verhöhnt.
Hollywood hat schwarze Darsteller in seinen Anfängen bis lange nach dem zweiten Krieg ebenfalls stigmatisiert bis hin zum schreckhaften Clown, dessen Augen noch im schwarz/weiss Medium weit aufgerissen ein Bild abgaben, welches schwarze Menschen als besonders schreckhafte naive, zurückgebliebene Wesen darstellte.
Ähnlich wie etwa die Homosexuellen in alten Filmen als tuntige Witzfiguren herhalten mussten, während homosexuelle Stars wie Rock Hudson und viele andere sich als Hetero zu zeigen hatten. In Hollywood wird immer wieder einmal der Finger auf die Wunde des Rassismus gelegt. Wie soll man den ersten Oscar an eine Person mit afroamerikanischer Herkunft werten? Er ging an Hattie McDaniels, die grosse schwarze Mutter der Nebenrollen. Standhaft als "Mamy" neben Vivien Leigh wurde sie nicht vom Winde verweht. Die Rollen aber waren wie bei den meisten schwarzen Darstellern die des Bediensteten. Der befreite Sklave landete in der Rolle des sozialen Underdogs und war zu Zeiten der Segregation und auch noch später, milieubedingt, näher den Drogen und der Kriminalität, als weisse Mitbürger.
In "The Heat of he Night", einer der ersten Filme, in denen ein farbiger Polizist (Sidney Poitier) zufällig dem weissen Polizeicorps der Kleinstadt Sparta, als legendärer Ermittler der Mordkommission Philadelphia, Virgil Tibbs, seinem weissen Gegenspieler Chief Gillespie (Rod Steiger) die Stirn bot, begann die ansehnliche Reihe hervorragender schwarzer Schauspieler im Film durchzustarten.
Dass auch sie zuweilen als Cops ins Abseits driften können, beweist der Film "Training Day" mit Denzel Washington und Ethan Hawke in den Hauptrollen.
Das findige wirtschaftsorientierte Amerika baute zudem eine lukrative private Gefängnisindustrie auf, die geradezu einen Durst auf die neuen "Sklaven" hervorbrachte. Wer nicht zum Dienen taugt, wer delinquent wird, landet im Knast und das für unsäglich lange Zeit. Das ach so freiheitsliebende Amerika ist unerbittlich, wenn es darum geht, den Weizen vom Spreu zu trennen, oder wie es die SVP beliebt zu sagen, die schwarzen Schafe auszusondern. Warum die schwarzen Schafe könnte man fragen? Weil es der Volksmund so will. "Es ist höchste Eisenbahn dem Volksmund eins in die Fresse zu geben", sagte einmal der Philosoph K.C. Broom. Und wenn wir genau hinschauen werden wohl wesentlich mehr farbige Leute hingerichtet. Früher, bevor man die neuen Methoden der Hinrichtung einführte, war es der Strang.
In einem Artikel der NZZ lesen wir: Die «verpfuschte Hinrichtung» mit der Giftspritze in Arizona dauerte zwei Stunden. Schauerliche Details werden bekannt. Wäre Erschiessen besser? Oder die Guillotine? Eine amerikanische Diskussion.
Ja die Guillotine, wäre sie humaner? Sie würde auf jeden Fall mehr "Mohrenköpfe" hergeben als solche von "Bleichgesichtern".
Kehren wir zurück nach Europa, zurück in die Sorglosigkeit, hin zu den Spieltischen weisser Kinder. Oh was haben wir noch in den 50er Jahren "schwarzer Peter gespielt". Der schwarze Peter, heute würde man sagen: "Er hat die Arschkarte gezogen". Den letzten beissen die Hunde, könnte man auch sagen. Da gehen einem aber sofort wieder Bilder durch den Kopf, Bilder aus Filmen. Flugs ist man wieder in Hollywood, in Filmen in denen der Ku-Klux-Klan mit Hunden Menschenjagt betreibt, um dann den gezielten Schuss abzugeben, oder den Eingefangenen am nächsten Baum aufzuknüpfen. Man sieht im geistigen Auge das Kreuz ohne Heiland lodern und befindet sich unmittelbar in der Hölle befremdender Ereignisse.

Es hat immer mutige Weisse gegeben in den USA. Eine davon war Harriet Beecher Stowe (geborene Harriet Elizabeth Beecher; * 14. Juni 1811. Sie war eine US-amerikanische Schriftstellerin und erklärte Gegnerin der Sklaverei. Ihr Buch Onkel Toms Hütte aus dem Jahr 1852, ein Roman gegen die Sklaverei, und das gleichnamige Theaterstück erreichten ein Millionenpublikum.
Schon an ihrem früheren Wohnsitz hatte sie sich mit der Sklavenfrage beschäftigt; noch eingehendere Studien und Beobachtungen machte sie, als sie mit ihrem Ehemann wiederholt den Süden bereiste und die Pflanzungen von Louisiana, Tennessee, Georgia, North und South Carolina, die Sklavenzüchtereien von Virginia, die "Negermärkte" von New Orleans usw. sah. Als 1850 das "Fugitive Slave Law" im Kongress angenommen wurde, fühlte Beecher Stowe die Zeit gekommen, über das harte Los der Sklaven zu schreiben.
Auf der anderen Seite haben die Amerikaner mit Donald Trump einen Mann an die Spitze gewählt, der 2016 verlauten liess: "Sie wollen, dass ich eine Gruppe verurteile, von der ich nichts weiss", sagte er in der Talkshow "State of the Union" des Fernsehsenders CNN.
Er müsse sich über den Ku-Klux-Klan und andere extremistische Gruppen erst informieren, fügte Trump hinzu. Auch eine Distanzierung zum früheren Anführer des Ku-Klux-Klans, David Duke, vermied der Immobilienmagnat. Duke hatte Trump seine Unterstützung zugesichert.
Warum also werden wir genötigt, unsere Gemüter an einer Süssware zu erhitzen? Ist es wirklich an der Zeit, dass wir unseren "geliebten Mohrenkopf" aufladen mit all den Geschichten, die weisse Barbaren anderswo ihren farbigen Mitmenschen angetan haben, während wir hier das Nicknegerchen mit unseren Batzen nicken liessen? Vielleicht könnte man ihn ja so belassen wie er ist, als Kopf zum drein beissen und wie bei den Zigaretten die Aufschrift verordnen:
"Beiss nur rein, Rassistus klein
und gedenke, (wie dazumal als der Batzen fiel)
dem kleinen Negerlein"
Die Schweiz war schlicht zu klein und es fehlte der Meeresanstoss um Kolonialmacht zu sein. Man könnte Land und Leutchen vergleichen mit einem Kolonialwarenladen an der Ecke und die Welt draussen als Aldi-Nord und Aldi-Süd.
Die Schweiz hat sich in der Folge im Rennen gut behauptet, ist nicht mit dem Lädeli untergegangen. - Klein aber oho! Der Diminutiv hat sich von der Raupe über die Puppe zum multinationalen Schmetterling gemausert und geradezu den sicheren Standort in der Mitte Europas gewählt, um von hier aus weitere Eier in der übrigen Welt abzulegen.
Verschont von zwei Weltkriegen gehört die Schweiz offenbar gar nicht richtig zur Welt, ist so etwas wie der Tresor, der einst geschickt hinter dem Bild mit der Schlacht von Marignano in der Wand eingelassen wurde. So jedenfalls kommt es einem ab und an vor, wenn man die Weltwoche liest. Dieser hinkende Bote sollte doch eigentlich Dorfwoche heissen, oder etwa nicht?
Rohstoffmultis und andere grosse Unternehmen haben ein beinahe unantastbares System geschaffen, mit dem man die Sklaventreiberei und alles andere was damit zusammenhängt, weit weg, in situ an "Vasallenkönige" delegieren kann. Das nennt man dann offenbar "vor Ort Hilfe" oder auch "outsourcing".
Warum also tun wir uns so schwer, oder besser einige von uns?
Zweierlei. Zum einen werden wir "aus heiterem Himmel" als Rassisten beschimpft, zum andern wird uns von einer Ethnie, die wir bis anhin in Bild und Ton (realiter) irgendwie unter uns haben wollten, Vorschriften gemacht. Mit "unter uns" meinen wir nicht unter uns, sondern UNTER uns, also hierarchisch. Auch das trifft nun nicht auf alle zu wie wir unschwer bezüglich der weltweiten Demonstrationen antizipieren können. Es gibt kein WIR als solches. Es gibt nur WIR-Gruppen. Es gibt auch nicht WIR, die Farbigen. Oder nur, wenn es um die Hautfarbe geht. Der Unterschied ist dann in der Tat augenscheinlich. Es wäre auch falsch zu behaupten, es habe sich nichts verändert. In Kunst und Politik zeigt sich immer mehr, wie falsch weisse Vorherrschaftsgedanken sind. Die Liste von bedeutenden Namen nimmt jährlich zu. Der strukturelle Rassismus nimmt zwar ab, existiert aber nach wie vor. Darüber täuschen Namen wie Barack Obama, oder Morgan Freeman, oder gar der Ex Chef der Credit Suisse, Tidjane Thiam, nicht hinweg. Der Rassismus macht sich oft da breit, wo Menschen, egal welcher Hautfarbe, unten durch müssen. Aber nicht nur die Underdogs sind betroffen, auch der sogenannte Mittelstand ist anfälliger geworden. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass man schnell unten ist, wenn man nicht weit genug oben war. Wenn nun Weisse unten durch müssen, ist es für sie in der rassistischen Matrix, oder besser im rassistischen Habitusmodell, noch demütigender. Sie werden zu sogenannten "weissen Negern". Ihr eigenes rassistisches Potential geht aus der Demütigung gestärkt hervor, so bleiben denn nur noch fremde oder farbige Mitmenschen übrig, die man unter den eigenen Stand bringen kann. Wenn diese dann kriminell werden, hat man sie im Sack. So werden weisse Underdogs von rassistischen Populisten in ihrem Glauben bestärkt und zu gefügigem Stimmvieh für faschistoide Ideologien gemacht, die zu guter Letzt nicht einmal vor den eigen Grosseltern halt machen.
Das Gefecht um den Mohrenkopf ist einmal mehr ein Gradmesser für die rechten Strategen, um auszuloten wie die Leute ticken. Die Mechanik hinter einer scheinbaren Bagatelle zeigt auf, wie man das Propagandakalkül optimieren kann. Der Mohrenkopf ist ein idealer Köder, ein Wurm an der Angel der Fischer. Herr Dubler, der Fabrikant der Süssspeise, sieht nicht nach dem nützlichen Idioten aus, der den Fischern nur zudient. Er, der Firmenpatron und Hersteller der goldenen Mohrenköpfe, erscheint eher als Anstifter, denn als Biedermann.
Es liegt nun bei der unsicheren Quellenlage auf der Hand, dass man den Mohren nicht aus allen heraldischen Erzeugnissen herausnehmen kann. Dies käme einem Ikonoklasmus grösseren Ausmasses gleich, den die schwächelnden Gemeinden nicht stemmen könnten.
Im Anschluss an die Arena vom 12.6 zum Rassismus "Jetzt reden Schwarze", habe ich kurz gegoogelt, wollte etwas wissen bezüglich der Reitschule in Bern und den schwarzen Drogendealern vor deren Türen. Frau Geissbühler Nationalrätin SVP und Ex-Polizistin, hat diese "schwarzen Schafe" in die Runde geworfen. Als Suche habe ich eingetippt: "Sind Schwarze ein Problem vor der Reithalle?" An erster Stelle kam ein Beitrag der BZ: "Schwarzer Block" marschierte unbehelligt zur Reitschule"
Andere marschieren zum Fabrikladen der Dubler AG in Waltenschwil. Es habe sich dort eine Warteschlange gebildet. Der Mohrenkopf-Vorrat sei komplett ausverkauft worden. - Herr Dubler darf nun hoffen, dass das "antirassistische Potential" seines Produkts die Kunden auf Trab hält, welche im allgemeinen Unmut über die Entfernung der Dubler Mohrenköpfe aus dem Sortiment der Migros, seine Fabrik zum Tempel der hehren Gesinnung gemacht haben. Offenbar ist es einfacher sich mit einem Regalartikel zu solidarisieren, als mit dem Anliegen einer farbigen Bevölkerungsschicht und den trotzköpfigen Gutmenschen. Ja sie haben richtig gehört, ich habe gelesen, der Gutmensch sei gegen den Mohrenkopf. So gut ist der also gar nicht oder, liebe SVP?
Was die Polizeigewalt gegen Schwarze angeht? Neben dem Aufruhr wegen dieses süssen Produkts der Schande, oder der Ungnade, je nach Standpunkt, wäre es ebenso angebracht, die Mafia der Koksdealer, und Koks wird nun einmal von Afrikanern dominant gedealt, ebenso als rassistische Aggression zu verstehen, welche die Polizei hierzulande oft unberechtigt in die Bredouille bringt. Aber eben, die einen pilgern zum Dubler, die anderen zum Dealer. Schwarze Idioten gegen weisse Idioten auszuspielen bringt uns nicht weiter. Die Filmemacherein Doris Dörrie hat es einmal treffend gesagt: "Ein Arschloch ist und bleibt ein Arschloch, egal ob weiss farbig oder was auch immer"
Das darf man bei all den Süssigkeiten die Migros sonst noch anbietet nie vergessen.
Zudem etwas weniger Zucker würde keinem schaden...
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