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12.5.2016

War Dr. Walter Affolter ein Amateur, verglichen mit modernen Archäologen?


Dr. Anna Felizitas Grazi (Berenanews) und Dr. Inge Barfuss Goldstein (Affolter Stiftung)

AFG: Dr. hc. Walter Affolter stammte aus einer wohlhabenden Dornacher Familie, die eine Sattlerei für Luxusdroschken und später eine Kammschneiderei besass. Sollte er nicht ursprünglich als einziger Sohn die Fabrik übernehmen?


IBG: Walter Affolter hat schon sehr früh seinem Vater zu verstehen gegeben, dass er sich nicht eigne als Patron. Es war Walters Glück, dass sein Schwager die Nachfolge im Geschäft übernahm. So konnte er seinem Wunsch nachkommen, Historiker zu werden.




AFG: Wie ist er auf die Archäologie und zu seinen Entdeckungen auf Sehnah gekommen?


Der Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen weckte in Affolter ein reges Interesse an der Frühgeschichte und Mythenforschung.

1902 erfuhr er dann auf einer Bildungsreise zu den griechischen Inseln von der Entdeckung der minoischen Kultur durch den britischen Archäologen Sir Arthur Evans, der ein grosses Gelände für Ausgrabungen auf Kreta erworben hatte. Auf dem Rückweg machte das Schiff im Hafen von Berena auf Sehnah einen Zwischenhalt. Affolter entschloss sich die Reisegesellschaft zu verlassen und auf eigene Faust die Insel zu bereisen.


Dr. Walter Affolter auf einer Grabung in Sehnah (rechts roter Punkt)


AFG: 1927 erhält Walter Affolter den Ehrendoktor der Universität Berena, 1929 wird ihm jedoch Grabungsverbot erteilt. Wie ist das zu verstehen?


IBG: Zum einen starb die Präsidentengattin, was Präsident Paco Mollièr veranlasste, zurückzutreten. Affolter verlor damit zwei wichtige Unterstützer. Zu der neuen Kaste um den Nachfolger hatte Affolter keine Beziehungen mehr. Zum andern gab es Wechsel auf den Lehrstühlen. Die Archäologie wurde von den aufstrebenden Nationalisten vereinnahmt und der fremde Entdecker musste zurückstehen.

Zudem war Affolter natürlich ein "Amateur", wenn man ihn mit modernen Archäologen vergleicht: Zielstrebig hat er die frühgeschichtlichen Schichten ausgegraben und dabei einen kleineren römischen Gutshof etwas „unsorgsam umgepflügt".


Portrait Dr, Walter Affolter ; Ferdinand Hodler 1914


AFG: Er hat sich dann in die Schweiz zurückgezogen und lebte in der Villa Rosenhain bis zu seiner Einweisung. Über die Bekanntschaft mit dem Sammler Dr. Carl Irlet aus Twann kam er mit den Schweizer Pfahlbauten in Kontakt…


IBG: Genau! Schon bald hat Affolter festgestellt, dass im Norden die Frühgeschichte eine ganz andere war. So pflegte er oft zu sagen:“ Bei uns und noch höher im Norden, waren die Leut wohl länger Jäger und Sammler als im Süden. Auch da noch wo sie sesshaft auf ihren Pfahlbauten hausten. Was man da oben an Keramik findet, sind Töpfe und noch einmal Töpfe.“ Ihm fehlte das Figurenwerk. Ihm fehlten Hinweise auf einen religiösen Kult. Und trotzdem, als Forscher dürfe man nicht die Augen verschliessen oder gar wählerisch sein. Auch das „Zeug“ sage etwas über die Menschen aus.


AFG: Lassen Sie mich das Thema Matriarchat aufnehmen, mit dem sich Affolter zeitlebens intensiv beschäftigte. Das Thema wird ja heute noch viel kontroverser diskutiert…?


Sie wollen wissen, wie sich Affolter dazu äusserte oder allenfalls heute äussern würde? Affolter hatte für seine Zeit auf seinen Reisen relativ viele unterschiedliche Frauenstatuetten gesehen. Er hat immer wieder betont, dass bis ungefähr 500 vor Christi Geburt weibliche Elemente in der Bildwelt dominant waren. Die Bachofen‘sche Idee von einer frühen Phase der Menschheitsgeschichte, die naturnah und von weiblichen Elementen geprägt war, sprach ihn an. Ein Ziel seiner Ausgrabungen war, diese prähistorische Kulturperiode des Mutterrechts zu finden.

Affolter widersprach Bachofen jedoch auch: Jener postulierte das Matriarchat als evolutionistische Durchgangsstufe. Danach entwickelte sich der chthonische Glaube an eine Erd- oder Muttergöttin zwingend über den Polytheismus mit den männlichen Hauptgöttern wie Zeus bis hin zum Monotheismus eines jüdischen Jahwes. Diese Aufwärtsspirale war Affolter zuwider.


Protohabalukkisches Idol


AFG: Wie steht es nun um die Habalukke-Kultur auf Sehnah. Affolter hat ja festgehalten, dass diese anders war?


IGB: Die Habalukkische Kunst, so Affolter, habe für die Zeit in der sie entstand eine grössere “Artenvielfalt“ an Skulpturen hervorgebracht, als vergleichbare in dieser Zeit. Es gäbe zwar durchaus eine Kanonisierung der Idole, aber die Habalukker hätten einen ausgeprägten Kult zur Darstellung gebracht. Dabei gingen profane und sakrale Elemente ineinander über.

So zeigen zum Beispiel die sitzenden Langbeiner –manchmal auf einer Art Opferwagen – mit hoher Bestimmtheit einen Opferkönig: Affolter war der Ansicht, dass diese Figuren eine Art Vorgänger des Gekreuzigten darstellten. Als Vegetationsgott versprach dieser Leben, da er im Frühjahr zurückkehrte, also Auferstehung feierte. Später, als er Fragmente von Sitzgruppen aufrecht Sitzender fand, war er gar der Ansicht, dass aus der ursprünglich matriarchalen jungneolithischen Gesellschaft eine Art Faschismus hervorgegangen sei: Die Figuren und ihre blauen Schreiköpfe hätten etwas Autoritäres und seien oft männlich.


AFG: Eine abschliessende Frage: War Affolter das, was man heute einen Feministen bezeichnen würde?


IBG: Nein. Weder stand er während der Studienzeit einer Frauenbewegung nahe, noch interessierte er sich für die Gleichstellung von Frau und Mann, wie wir sie heute diskutieren. Er lebte vor seiner Einlieferung in die psychiatrische Anstalt mehrere Jahre zu Hause bei seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester. Die beiden Damen haben ihn sehr umsorgt und er konnte sich ganz seinen Passionen widmen, der Jagd und seiner Forschung. Er liess es sich gut gehen, ein Pascha ganz im Sinne seiner Zeit.

Affolter war jedoch der Meinung, dass intelligente Frauen, wenn sie einmal ihre angestammte Rolle verlassen hatten, den Männern bestens das Wasser reichen konnten.


Büste Dr, Walter Affolter (grande tête mince alberto giacometti)