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23. März 2016

Apropos Soapboxing: Fluxus ist kein Abwaschmittel Herr Ruch

Gabi Zaun Fertl interviewt den Direktor des Nationaltheaters Berena, Barrud Soliti, der zurzeit in Zürich weilt.

ZF

Herr Soliti, sie haben den Streit um das Neumarkttheater “hautnah“ miterlebt. Ich frage Sie als Theatermacher, ist das postdramatische Theater am Ende?

SO

Nun Herr Andreas Spillmann (VR) tut sich seit längerem schwer mit dem umstrittenen Zürcher Theater wie wir lesen konnten. «Der Neumarkt entspricht nicht meinen Vorstellungen von Theater», sagte er.

ZF

Ja, er erwähnt aber explizit das postdramatische Theater das die Autorenschaft in Frage stellt. «Theater ohne Autoren funktioniere nicht», so Spillmann.

SO

Es funktioniert begrenzt. Wenn etwa ein Clemens Greenberg von der formalistischen Malerei sagte: It‘s only feeling, Form ohne Inhalt, so haben wir es mit etwas ähnlich Falschem zu tun. Es gibt immer beides immer ist Form und Inhalt anwesend und so gibt es auch immer einen Autoren auch wenn dieser den Gegenstand nicht zu Papier gebracht hat. Ein Teil der Schauspielerausbildung ist die Improvisation, in der klassischen Musik geht die Kadenz in diese Richtung, vom Jazz gar nicht zu sprechen. Man kann bei der Improvisation nicht mehr von Interpreten reden. Der Komponist, der Autor etc., gehen eine Personalunion ein. Bei hervorragenden Improvisatoren funktioniert demnach ein Theater ohne Autor entsprechend. Oder denken Sie z.B. an die sogenannten Poetry Slam Leute.
Aber es bedeutet natürlich immer ein gewisses Risiko für einen Intendanten, man kauft die Katze im Sack.

ZF

Sind Skandale schädlich für den Kulturbetrieb?

So

Ich denke klar nein. Es gibt ja nicht so etwas wie den Kulturbetrieb, es gibt vielmehr Kulturbetriebe und Kulturschaffende. Sowenig wie Herr Köppel schädlich für die Politik ist, ist Herr Ruch schädlich für die Kultur. Einzelne Personen sind nicht die Kultur oder die Politik. Klar eine Institution kann Schaden nehmen, wenn ihre Geldgeber allzu sehr brüskiert werden. Ungern erinnere ich Sie an den Fall Hirschhorn und die Abstrafung der Pro Helvetia durch die Schweizer Politik. Wenn Herr Ruch sagt, seine Aktion sei Kunst, dann ist sie wohl oder übel Kunst. In diesem Punkt gebe ich all denen nicht Recht, die das Gegenteil behaupten. Was sich aber der Setzung des Herrn Ruch entzieht, ist die Qualitätsbeurteilung seines Spektakels. Dieses erreicht offensichtlich nicht das Niveau eines Amateurtheaters.

ZF

Was genau ist so grottenschlecht an der Performance von Ruch?

So

Lassen Sie mich ausholen. Ich verweise gerne auf den Film von Peter Cohen. Cohen stellt in dem Film die These auf, dass neben den sozialen und politischen Umständen nach dem ersten Weltkrieg, das dritte Reich ein Produkt von zu kurz gekommenen Künstlern war. Er geht so weit, dass Hitler vom Postkartenmaler zum Gesamtkunstwerker wurde. Er hat aus dem Staat eine soziale Plastik geformt deren Architektur eben den Untergang des Deutschen Volkes, im Falle einer Niederlage, mit einbezog. Architekt Speer musste die Bauten so bauen, dass künftige Archäologen und Altphilologen vor den erhabenen Ruinen seines Grössenwahns stehen sollten. Dieses über sich selbst Hinauswachsen des Führers und seiner Entourage von ebenfalls verkannten Künstlern, ist das Indiz für eine aufkeimende kranke Unkultur. Die Nazis selber waren, ich denke da an Schulze Naumann und seine Ausstellungen entarteter Kunst, selber Spezialisten im Aburteilen und Verbrennen von Kunst. Ich denke die Kunst hat gerade im dritten Reich ihre Unschuld verloren. Mit anderen Worten Kunst kann durchaus verbrecherisch sein. Dann nämlich, wenn sie einem verbrecherischen System zu “Schönheit“ verhilft. Oft wird mir etwas mulmig zu Mute, wenn ich die überdimensionalen Werke spätkapitalistischer Künstler sehe. Diese umgehend mit Arno Breker und Josef Thorak zu vergleichen scheint mir aber verfehlt. Was im Falle Ruch nicht plausibel daherkommt ist die Tatsache, dass er den Teufel mit dem Belzebuben auszutreiben versucht. Jemandem die schwarze Beulenpest an den Hals zu wünschen und dann kund zu tun, man habe das nur im übertragenen Sinn gemeint, ist verlogen und vor allem unnötig und dumm.

ZF

Herr Ruch will die Politik verschönern indem er den nach ihm gefährlichen Roger Köppel „neutralisiert“ oder soll ich besser sagen ausmerzt. Er will dabei nicht Rücksicht nehmen auf das Theater und seinen Lebensnerv.

So

Oder eben, er nimmt den Untergang in Kauf. Ich wäre dann gerade auf diesen Widerspruch gekommen. Hier setze ich mit der Verantwortung des Kulturschaffenden an. Ich vertrete die Ansicht, dass der Staat die Meinungsfreiheit garantieren muss. Dazu gehört auch die Freiheit der Kunst im Rahmen des Gesetzes. Auch die freie Kunst darf letzten Endes nicht alles. Mit dem Internet sind wir an einem Punkt angelangt, wo sich jede Person frei öffentlich äussern und darstellen kann, sofern sie den Zugang zum Netz hat. Schon vor Netzens Zeiten konnte sich jedermann an einem Platz wo sich viele Personen aufhalten auf eine Kiste stellen und frisch von der Leber weg predigen. Ich erinnere mich noch gut an den Speakers Corner* im Hide Park in London wo seit 1872 Selbstdarsteller ihre Reden halten können. Ausnahme, die Königin und ihre Familie darf nicht Gegenstand der Rede sein. Eine Tatsache, die “Republikaner“ eher belustigt. Ich denke, spätestens mit Spitting Image sind solche Einschränkungen weggefallen.

Wenn nun der Vorwurf im Raum steht, dass es Herrn Ruch primär um sich selber geht und nicht um die Kunst, dann steht da wohl vorerst Aussage gegen Aussage. Sicher ist indes, dass Herr Ruch die Institution das Theater am Neumarkt in Anspruch nahm. Das Theater hat zwar kein Schild angebracht, “Majestätsbeleidigung verboten“ jedoch gilt der Rechtsrahmen der auch draussen auf der Strasse gilt. Zum Beispiel gilt die Rassismus-Strafnorm, die Rassendiskriminierung und Volksverhetzung unter Strafe stellen. Inwiefern Herr Ruch den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei dahingestellt. A propos Soapboxing: Fluxus ist kein Abwaschmittel für künstlerische Fehltritte. Fest steht, dass Ruch andauernd die Grenzen seiner “Bühne“ verschiebt. Das wird dann unglaubwürdig, wenn aus der Not schnell noch eine Tugend gebastelt wird. Das Theater macht nicht mehr mit, man geht also auf die Strasse. Mangels einer offiziellen Plattform werden die Bretter die die Welt bedeuten, zu einer Welt, die die Bretter bedeuten, nämlich die Bretter vor dem Kopf. Wie man allenfalls mit dem politischen Gegner umzugehen hat, haben die Leute Muschg und Hohler etc. ja schon gesagt.

ZF

Wie soll Kunst mit dem Einbezug von realen Personen umgehen?

So

Ich denke das ist ein kompliziertes Unterfangen. Nicht jede Kunstgattung eignet sich dazu. Das postdramatische Theater will ja gerade weg von dem Brecht‘schen Verfremdungseffekt (V-Effekt). Das postdramatisches Theater - das Weg-von-der-Fabel - markiert für Hans-Thies Lehmann die entscheidende Wende im Theater. Ich selber bin mir da nicht so sicher. Zudem ist das alles nicht neu, meines Erachtens ist der eigentliche Vordenker dieser Form nicht Schlingensief und Co. und schon gar nicht Ruch. Da kommt mir eher das Theater der Grausamkeit eines Antonin Artaud in den Sinn. Ich habe lieber Figuren die gleichnishaften Charakter haben, sie sind „Niemand“- oder „Jedermann“-Gestalten, die beliebig austauschbar sind und exemplarischen Verhaltensweisen folgen. Es werden kaum Emotionen erregt, das epische Theater untersucht sie lediglich von außen.

ZF

Sie gehen davon aus, dass das Publikum in einer fiktiven Gestalt eine reale erkennt und dadurch so etwas wie eine “Entköppelung“ entsteht? Ist das im Zeitalter des Reality TV nicht etwas zu optimistisch? Im Mittelpunkt eines Reality-TV-Programms stehen doch genau diese Erlebnisse, welche im Gegensatz zur Alltagswelt stehen. Das Realitätsfernsehen präsentiert nicht die Wirklichkeit als Ganzes, sondern zeigt den Alltag von realen Personen in Ausnahmesituationen.

So

Ich denke der Unterschied ist der, das Fernsehen ist ein Massenmedium, während das Theater eher eine Minderheit aus dem Bildungsbürgertum bedient, Leute also, die in der Regel in der Lage sind Fabeln lesen zu können. Wenn man natürlich das Theater in eine Arena für Comedians und Klamauk umfunktionieren will, kann man das wohl tun, das ist aber dann nicht unbedingt mein Theater. Das Kleintheater, die sogenannte Kleinkunst gehört für mich indes zum Besseren, was politisches Theater bieten kann. Wenn der Deutsche Kabarettist Georg Schramm sich den Herrn Köppel vorknöpfen würde, wäre das wohl die adäquate Antwort. Denn unter uns, den Weltwoche Chef durch den Fleischwolf eines Shakespeare-Adepten zu drehen wäre doch zu viel der Ehre. Ich denke da ist hüben und drüben eher Überschätzung am Werkeln. Und noch eins, nicht Köppel muss entköppelt werden, sondern seine Leser und Wähler, wenn schon. Noch gerade leben wir in einer Demokratie. Die Gefahr besteht indes, dass wir in eine Mediendemokratur hineinschlittern.

ZF

Immerhin hat es Herr Ruch geschafft in allen Medien Erwähnung zu finden. Er selber sagt, sein Theater, seine Aufführung gehe weiter. Geht es nach ihm, so geht es gerade hier und jetzt zwischen uns und sicher noch an anderen Orten simultan weiter. Warum also nicht gleich so?

SO

Ja warum nicht gleich so? Ganz einfach, weil das Pamphletchen im Eigenverlag nicht das Renommee von Rowolt und Co verspricht. Das der Seifenkiste besteht allenfalls aus dünnen Brettchen, da muss doch schon eine währschafte Bühne her, insbesondere dann, wenn man nicht das Format eines Klaus Kinski hat. Ich für meine Person und als Intendant hätte mir den Philipp Ruch nie im Leben angetan.

ZF

Gibt es so etwas wie ein sicheres Rezept um in den Medien ein grosses Echo zu erzielen?

So

Das fragen Sie mich am Tag der Bombenanschläge in Brüssel? Diese kranken Typen beweisen doch gerade eines, je perverser das Spektakel umso garantierter die Publizität. Wäre ich so bescheuert wie Herr Ruch, so würde ich als Kritiker sein Theater als "IS-Theater" betiteln. Aber – weder hat Ruch etwas mit dem IS zu tun, noch hat Köppel etwas mit dem Stürmer Herausgeber Streicher etwas am Hut. Denn ein Bezug wäre ja eher strukturalistisch und nicht poststrukturalistisch ergo eher dramatisch und nicht postdramatisch. Aber um auf Ihre Frage zurück zu kommen. Ja es gibt sichere Rezepte um ein Medienecho zu erzielen. Man muss einfach Grenzen überschreiten und Tabus brechen, von denen man genau weiss, dass sie hinhauen. Ich denke ästhetische Theorie rät eher von solchen Unterfangen ab. Der Kunsthistoriker und Galerist Bertheim hat einmal gesagt: “Die Berechenbarkeit eines Kunstskandals ist heute und erst recht in unserer freien Welt umgekehrt proportional der Qualität eines Werkes.“

ZF

Das sagt alles. Besten Dank für das Interview.




* )Speakers’ Corner („Ecke der Redner“) ist ein Versammlungsplatz am nordöstlichen Ende des Hyde Parks in London in unmittelbarer Nachbarschaft zum Marble Arch. Durch einen Parlamentsbeschluss vom 27. Juni 1872 (Royal Parks and Gardens Regulation Act) darf hier jeder ohne Anmeldung einen Vortrag zu einem beliebigen Thema halten und auf diesem Weg die Vorbeigehenden um sich versammeln. Hinweisschilder weisen aber darauf hin, dass die britische Königin und die königliche Familie nicht Inhalte einer Rede sein dürfen.

Eine soapbox (deutsch Seifenkiste) ist eine improvisierte Plattform für einen Redner unter freiem Himmel. Insbesondere in England wird das Wort auch metaphorisch für das Recht auf freie Rede benutzt. Der Londoner Hyde Park ist bekannt für die im dortigen Speakers’ Corner seit 1872 gehaltenen Sonntagsreden, die ursprünglich vor allem religiöse Themen zum Inhalt hatten.