Der Kulturerbrecher
Das neue Buch von K.C. Broom, erschienen bei Surkampf Wissenschaft,
besprochen von Andrea Sauerberg.
Die Gegenwart zeichne sich dadurch aus, dass das Sublime sich beschämt aus dem Staub gemacht habe. Für Broom ist jedoch das Sublime nicht gleichzusetzen dem Erhabenen bei Kant, aber auch nicht dem von Lyotard und Adorno, vielmehr sei es auf der einen Seite ein nicht Stattfinden der Sublimation, der Sedimentierung des kulturellen Moments. In der Physik nennt man den Prozess vom festen zum gasförmigen Zustand Sublimation. Anderseits, so Broom, sei es aber auch einfach das Fehlen der Feinheit, der Subtilität. Die Hyperästhetik lasse dem Menschen keinen Raum mehr Atem zu holen und das sei gleichzeitig auch gerade Programm. Wer Zeit habe zwischen den Mega-Events unserer Tage Luft zu schnappen, der ziehe womöglich seinen Kopf aus der Schlinge, so er nochgerade einen habe. Wer sich aber mit einem solchen Event voll gestopft habe, der müsse, wolle er fit sein für den nächsten, den gerade vergangenen herauskotzen. Mit anderen Worten, sein Hirn müsse leer genug sein für die erneute Aufnahme für das Kommende. Broom zählt dann auf, wie das zu seiner Zeit war, als er im Club 66 in Berena als junger Bursche die Deep-Purple erlebt habe. Der Eintritt kostete damals 5 HUS, welche er nicht zusammengespart hatte und so die Band von draussen durch die Mauer erleben musste. Die Musiker seien zwar zwei Meter an ihm vorbei in den Club marschiert und hätten vor gerade mal 150 Leuten gespielt. Alle Songs, die wir heute von den Deep Purple kennen, wären schon im Kasten gewesen. Man müsse sich vorstellen, er habe keine 20 Meter von Gillan, Glover, Paice, Blackmore und Lord entfernt das Konzert verfolgt, leider ohne Bild wie man heute sagen würde. Aber eben, er Broom habe sich die Hammond B3, den Lesley Kasten und die Marshalltürme vorstellen können. Gedonnert habe es alleweil. “Smoke on the water…“ und “Black night…“ und wie die Songs alle heissen. Der Leser fragt sich, was denn nun an dem Donner der Deep Purpel sublim oder gar subtil war. Broom klärt uns natürlich sofort auf. Die Tatsache, dass es möglich war, eine der bedeutendsten Rockgruppen der Zeit in so “intimem“ Rahmen geniessen zu dürfen, war im Rückblick und mit Sicht auf die Open-Airs und Stadionkonzerte von heute beinahe das Erhabene in persona. Broom kommt dann noch auf Woodstock zu sprechen. Woodstock sei zwar der Anfang der Gigantomanie. Woodstock sei aber damals eher als ein Manifest der “Community“ erlebt worden. “Wir alle waren im Geiste mit dabei in Woodstock“, Woodstock war ein Lebensgefühl, war Aufbruch. Durch den Film “sedimentierte“ sich das Ganze auch in unseren Gedächtnissen. Die Einmaligkeit war de facto verbürgt. Broom spricht dem einzigartigen Erlebnis solitäre Bedeutung zu. So wie fast jeder Mensch irgend einen bleibenden Schaden habe, müsse er auch eine bleibende Sublimation in sich tragen. Das Wir-Gefühl von damals wurde aber schnell mal industriell okkupiert und neu besetzt. Die Gegenwart kultiviere den Schaden und verhindere das Gleichgewicht, die Sublimation, durch die von Broom erfundene Wortschöpfung Kulturbulimie. Die Menschen würden so abgefackelt wie ein Feuerwerkskörper, seien mit 40 oder meist schon vorher ausgebrannt. Es gäbe nichts, an das sie sich mit Freude und Enthusiasmus erinnern könnten, da sie immer im Morgen gelebt hätten, voll der Angst etwas zu verpassen, das sie dann umgehend rauskotzen müssten um dem nächsten Event den temporären Platz zu halten. Burnout-Syndrom, bipolare affektive Störung, Sucht, etc. seien die Folgen. Die grosse Erzählung Kapitalismus sei am Zenit angelangt. Der Warenfetisch im Arschloch der Konsumenten verhindere den Stuhlgang und die Kulturbulimie sei der einzige Ausweg. Broom bringt dann Beispiele aus anderen Kultursparten, aber auch der Sport und die Religion kommen an die Reihe. Das Mega-Hyper-Pappa-Syndrom handelt vom genialen Marketing des Vatikans, Fussball als Inbegriff des Runden an sich, ein Ausflug mit Kant und Beckenbauer auf grünem Rasen mit Bierdose, die drei Tenöre und das Gurgeln der Medusen lässt den Liebhaber klassischer Musik zur Steinsäule erstarren usw. In gut Broom’scher Manier dreht der Autor alles und jedes durch den Fleischwolf, damit es angenehmer gekotzt werden kann. Kulturbulmie auch bei den bildenden Künsten. Wer heute als Künstler ins Blickfeld der Kunst rücken wolle, müsse dermassen alle Register ziehen, dass ein Normalsterblicher schon zu Beginn seiner Karriere lieber den Weg eines Managers einzuschlagen gedenke, da der Job eines Top-Managers um etliches leichter zu erklimmen sei als der eines Top-Künstlers.
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Broom verweist auf Künstler wie Wim Delvoye, Matthew Barney, oder auch nur Paola Pivi. Der Aufwand, der von diesen Leuten betrieben werde, sei enorm. Selber legten die zwar selten Hand an, liessen herstellen und anfertigen wie die grossen Ateliers der Renaissance. Da werde mit der ganz grossen Kelle angerührt. Die Werke selber würden immer grösser und mit ihnen die Museen. Aber auch die Bibliotheken und Archive der Kultur platzten aus allen Nähten. Broom erzählt uns dann die Geschichte von „Angelus Novus“ und zitiert Walter Benjamin:
Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann.
Der Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.
Benjamin war bis zu seinem Selbstmord in Spanien im Besitz dieses Bildes und mit ihm erhob sich der Engel aus den übrigen Kleewerken. Hat sich der Angelus Novus wieder umgedreht, schaut er unablässig nur noch nach vorne? Klee selber ist heute im Kleezentrum Bern in der Schweiz ein weiteres Megaerlebnis. Klee, der Kammermusiker/Kammermaler unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts, sei heute zur schwulstigen Sinfonie verkommen. Unter widrigen Lichtverhältnissen müsse sich der Sehbehinderte von Werk zu Werk durcharbeiten um sich dabei vor einem mehr oder weniger gut gemeinten Mäzenatentum zu verbeugen. Verfehlte Kulturpolitik und grosse Vermögen brächten Kinder zur Welt, denen die Magensäure olfaktorisch schon pränatal eine besondere Note abgebe. Broom lässt keinen guten Faden an den Monokulturen in der Museenlandschaft. In Südfrankreich finde man einige und man leide nach derartigem Genuss regelmässig an Hyperorexie.
Kulturbulimie, das mitunter meist diskutierte Buch der Gegenwart, lässt keine Fragen offen und fordert den Leser einmal mehr auf, den Stöpsel heraus zu ziehen. “Wenn Mick Jagger und Co. kommen, bleibt zu Hause! Verweigert euch den Open Airs, den Arenen der AÏden, hungert die Konzentrationsmulden (Stadien) aus und bleibt zu Haus! Den Papst schickt in die Besenkammer und mit ihm die Kardinonnen!“ Doch was ist die Alternative? Broom zieht ein erstaunliches Remake aus dem Hosensack der Geschichte. Sein “Zurück zur Natur“ erhalten wir aber nicht ohne den Vermerk: “Vorsicht Steinschlag!“. Alles in allem hat man oft das Gefühl, Postman lässt grüssen, denn wir amüsieren uns bekanntlich zu Tode. Das broomsche Natur-Fazit geht bei aller gut gemeinten Polemik dem Rezensenten auf den Geist. Er plädiert in eigener Sache für den status quo. Mögen die Massen konzentriert in Kirchen, Stadien und anderen Lagern zu Hauf verweilen, damit die Gebüsche, Wälder und Auen, um es mit Peter Lehner zu sagen, “rostbüchsenfrei“ bleiben.
Posthumane Kacke von von Wim Delvoyes
"Cloaca"

Aus Pralinen macht diese Maschine humane Scheisse.
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