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3.10.2020

Anna Felizitas Grazi Interview mit dem Sehnaher Künstler HUS

AFG: Seit einiger Zeit postest du deine … ich weiss nicht wie soll ich die Dinger nennen soll, Fahnen??? ... was bezweckst du damit?

HUS: Nervt es dich?

AFG: Ich ärgere mich, weil es mich in der Tat oft nervt und nerve mich dann, dass es mich nervt, weil ich denke, dass du ja willst, dass ich mich nerve, anders kann ich mir das nicht vorstellen.

HUS: Es liegt irgendwie dazwischen. Ich nerve mich im Grunde über soziale Medien generell. Als es diese noch nicht gegeben hat, hätte ich mir mit Brecht, so etwas wie ein Medium gewünscht, auf dem ich reagieren, antworten kann. Radio und TV ist eine monodirektionale Angelegenheit. Du wirst berieselt und kannst nur umschalten oder abstellen.

AFG: Wünscht du dir diese Zeit zurück?

HUS: Nein, ich denke nicht. Als Facebook etc. noch nicht so IN war, gab es bereits die Themenblogs. Ich habe mich damals auf dem Blog des Journalisten und Sektenspezialisten Hugo Stamm herumgetrieben. Ein never-ending Hick Hack zwischen Gläubigen und Atheisten. Es hat mir eine gewisse Zeit den Ärmel hereingezogen und ich habe festgestellt, dass solche Plattformen ein hohes Suchtpotential aufweisen. Irgendwann habe ich beschlossen auszusteigen. Ich hab meinen letzten Eintrag verfasst: “Liebe Leute, ich verabschiede mich hiermit und gehe freiwillig in die Klapsmühle, adieu!“ , das war‘s.

AFG: Hattest du Entzugserscheinungen?

HUS: Ich habe 2006 auf einen Schlag von 3 Paketen Zigaretten auf 0 geschaltet. Damals hatte ich Entzugserscheinungen. Diese Sucht hat Spuren hinterlassen bis heute. Ich bin viel schneller gereizt, die Schwelle kann man als Raucher tiefer halten. Bei der „Stammsucht“ ging das relativ gut, ich fühlte mich befreit.

AFG: Wie ist das nun mit Facebook?

HUS: Das Medium hat ein paar gute Aspekte, aber die negativen überwiegen, das ist meine Meinung. Es gibt Leute, die können mit so etwas umgehen. Die posten ab und zu etwas. Für soziologische Feldstudien geben soziale Medien und Kommentarspalten nur bedingt etwas her, nicht zuletzt, weil man nie weiss, was die Hintergrundalgorithmen mit uns anstellen. Die Kommerzialisierung der Plattformen ist das Grundübel. Im Grunde gilt das, was Peter Bürger in der Theorie der Avantgarde beschreibt, auch für die sozialen Medien.

AFG: Was meinst Du damit? Was genau?

HUS: Bürger beschreibt, wie die DADA Bewegung den Versuch unternommen hat, die Kunst in die Lebenspraxis zurückzuführen. Seine These ist, dass jeder solche Versuch nach einer bestimmten Zeit von einer Ökonomie einverleibt wird. Im Fall Avantgarde handelte es sich um den Kunstmarkt der sich sofort anschicke, den „Abfall“ solcher Prozesse zu produktisieren und zu verramschen. Später sollte die Performance als Kunstform herhalten, die nur als Moment der Realisation, des Stattfindens, wenn überhaupt, “verkauft“ werden sollte. Im Zeitalter von Video ist das aber illusorisch. Die Einmaligkeit, man könnte sagen, die Aura der Einmaligkeit wird unmittelbar technisch reproduziert. Nichts gegen Aufnahmetechniken, nichts gegen “Konserven“. Dank der Filmdokumente konnte ich all die Bands meiner Jugend wieder neu entdecken und meinen eigenen Zugang zu dieser Zeit hinterfragen. Vieles aus dieser Zeit ist heute eine Lachnummer, man schau sich nur einmal das Video mit der deutschen Gruppe „The Lords; Poor Boy“ an, diese Tanzschritte sind einmalig. Als schlimmes Beispiel der Verramschung erachte ich den Verkauf des "Abfalls" aus dem Film "Lauf der Dinge" von Fischli Weiss. Das ist unterste Schublade. Der Film war und ist hingegen top.

AFG: Ist denn der Markt nicht auch Lebenspraxis?

HUS: Natürlich, es gibt im Grunde kein Entkommen, ausser man wird nicht wahrgenommen.

AFG: Was haltest du von den Bestrebungen, dass Frauen in der Kunst mehr wahrgenommen werden?

HUS: Das kann ich nur statistisch beantworten. Es wird einfach ungefähr doppelt soviele Leute geben in Zukunft, die nicht wahrgenommen werden.

AFG: Ist das nicht ein wenig zynisch?

HUS: Nein ist es nicht. Aber schau, ich hätte ja auch gern das italienische Konzert von Bach geschrieben. Aber es gibt nur einen Bach. Es gibt nur eine Agnes Martin, oder eine Louise Bourgeois. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, oder gleiche Chancen im Wettbewerb von was auch immer sind OK. In der Kunstszene ist es aber doch nach wie vor so, wer gut verkauft, ein gutes Netzwerk um sich hat, der portiert wird, der hat bald einmal die Mittel teurer produzieren zu können. Da ist nicht ein Bach am Werk, der zu Hause etwas auf Notenpapier kritzelt und dazu etwas vor sich her klimpert. Da entsteht auch kein „italienisches Konzert“, da entsteht oft nicht mehr, als ein saisonales Konzept. Da sind dann bald Heerscharen von Leuten am Werk wenn alles gut läuft. Natürlich nicht bei allen. Es kommt darauf an was da produziert wird. Oft kommt mir das so vor, früher jammerte der verkannte Künstler, heute jammert die verkannte Frau.

AFG: Ärgert dich das?

HUS: Nein, ich versuche nur etwas Sand in solche Zeiterscheinungen zu streuen. Die Frauen sind auf dem Vormarsch auch in den Gymnasien und Universitäten. Das ist gut so. Aber wenn man die Kunstgeschichte so umfunktioniert, indem man verkannte Künstlerinnen ausgräbt, verkennt man doch die Tatsache, dass das Patriarchat es den Frauen nicht einfach gemacht hat. Mit anderen Worten es gab viel weniger Frauen, die überhaupt am "Markt" teilnahmen. Nationen mit vielen Einwohnern gewinnen an der Olympiade oft auch mehr Goldmedaillen. Da unternimmt auch niemand etwas, das wird einfach geschluckt. Das korrigiert sich dann im Winter, wenn kleinere Alpenländer die Nase vorn haben. Auch in der Kunst gibt es Standortvorteile. Bei der Anzahl guter Künstlerinnen kann man sich doch auch fragen, weshalb man gerade Isa Genzken zweimal innert einem Jahr in der Schweiz institutionell ausstellt.

AFG: Kann ja ein Zufall sein.

HUS: Kann sein, ist mir egal.

AFG: Zurück zu deiner Facebook-Obsession. Was genau bezweckst du damit?

HUS: Die Frage kannst du jedem Künstler im Grunde stellen und die meisten werden wohl sagen: “Ich mache nun mal Kunst basta.“ Das ist nicht falsch, ist aber eine Tautologie. Lasen wir einmal alle ökonomische und egoistische Gründe weg und betrachten das Systemumfeld. Am Anfang habe ich mich ganz normal auf Facebook bewegt und das Medium studiert. Was passiert da? Aus Facebookfreunden wurden sogar echte Freundschaften. Die Facebookfreunde sind also nicht nur Avatare, die mit mir in einem „solipsistischen Raum“ kommunizieren, sondern sind reale Akteure, die wenn man ihnen realiter begegnet noch realer werden. Auf Facebook reduzieren sich die meisten auf stereotype Aussagen. Einmal hat einer sein Herz ausgeschüttet und jämmerlich zu flennen angefangen, weil ihn seine Geliebte verlassen hatte, da ist die Community über ihn hergefallen, das gehöre doch nicht auf Facebook, er solle sich behandeln lassen. Er hat wohl gedacht, da draussen seien echte Freunde, oder böse gesagt “echte Menschen“ die ihn trösten würden, oder was auch immer. Weit gefehlt, soziale Medien sind alles andere als Rehabilitationskliniken, sie sind die Klapsmühle für sogenannt geistig Gesunde.

AFG: Na ja, der sass, ich denke du bist beim Thema.

HUS: Nein, um auf dein Frage zurück zu kommen, ich habe mir in der Tat die Frage gestellt, wie könnte etwas produziert werden, und ich benutze absichtlich das Verb produzieren, das das Medium konzeptuell einbindet. Viele Künstler benutzen Facebook um ihre Werke zu zeigen. Das ist legitim, auch wenn es halt in Gottes Namen den Stallgeruch des “Eigenverlags“ hat. Das Medium lädt geradezu ein, Selbstbeweihräucherung zu veranstalten. Ich sage da nur: Lieber Narzissmus, als Nazismus, mehr sage ich dazu nicht. Aber mir ging es nicht darum, meine Atelierarbeiten vorzuführen, sondern das Medium als Atelier oder als Bühne zu verwenden. Irgendwie schien mir da etwas gegeben wie: „Die Kunst in die Lebenspraxis zurückzuholen“. Von meinen sogenannt etwas über 400 Facebook FreundInnen folgen dem Konzept gerade mal eine Handvoll Leute. Diese wiederum verstehen das gepostete unterschiedlich. Es entsteht dann manchmal ein Dialog. Ich versuche absichtlich abstrakte, ja abstruse Gegenstände und Konzepte zu mischen mit alltäglichen, philosophischen ja gar lokalpolitischen Absurditäten. Diese werden formal gekleidet in einen “Kunstbrand“. Das Textbild ist ja nicht eine Eigenerfindung, das gibt es seit eh, davon kann insbesondere der Islam ein Lied singen. Ich lege aber einen gewissen Wert darauf, dass das Textbild eben primär Bild ist. In ihm treffen sich Linguistic turn und iconic turn.

AFG: Lass mich die beiden Begriffe kurz zitieren: Der Begriff des linguistic turn bezeichnet damit eine Reihe sehr unterschiedlicher Entwicklungen im abendländischen Denken des 20. Jahrhunderts, denen allen gemeinsam eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Vorstellung zugrunde liegt, Sprache sei ein „transparentes Medium“, um die Wirklichkeit zu erfassen bzw. zu vermitteln. An die Stelle dieser Sichtweise tritt stattdessen die Auffassung, Sprache sei eine „unhintergehbare Bedingung des Denkens“. Demnach ist „alle menschliche Erkenntnis durch Sprache strukturiert“; die Realität jenseits von Sprache wird als „nicht existent“ oder aber „zumindest unerreichbar“ angesehen. Die Reflexion des Denkens, vor allem die Philosophie, wird damit zur Sprachkritik; eine Reflexion sprachlicher Formen – auch in der Literatur – kann so gesehen nur unter den Bedingungen des reflektierten Gegenstandes, eben der Sprache, erfolgen.

des reflektierten Gegenstandes, eben der Sprache, erfolgen.

iconic turn bezeichnet man analog zum Begriff der „linguistischen Wende“ die Hinwendung zu einer Bildwissenschaft, die wissenschaftliche Rationalität durch die Analyse von Bildern herstellt. In der Alltagskultur wird die Wende als Entwicklungsschritt in Richtung einer postskriptualen Gesellschaft gedeutet.

HUS: Jetzt wissen wir es, danke. Was ist nun der Unterschied zu einem Bild, das an der Wand in einer Galerie hängt. Ich denke die Hemmschwelle in Sachen Kommentaren ist in der Galerie, wo ev. andere Leute unmittelbar daneben stehen, anders. Man will sich nicht vor denen blamieren und schweigt. Facebook suggeriert aber so etwas wie ein supponiertes Hinterzimmer, ein Stammtisch für Eingeschworene in der Dorfbeiz. Da wird zuweilen über den Strang gehauen. Doch ist man unbeaufsichtigt? Wer lauscht da alles zu und denkt sich seine Sache?

So verstehe ich diese Agitation als etwas im Grunde neues. Kunstwerk und normaler Post unterscheidet sich demnach nur an Schnittstellen des Formalen und ev. inhaltlich von der übrigen Realität des Mediums.

AFG: Es gibt natürlich noch eine weitere Differenz, man könnte dem so etwas wie die "öffentliche Penetranz" sagen.

HUS: Das ist natürlich ein zentrales Mittel. Nimm nur Kunst im öffentlichen Raum. Unzählig sind die Beispiele. Es gibt dann immer die, die eine Demokratisierung des öffentlichen Raumes verlangen. Nun im Facebook gibt es je die Möglichkeit des Befreiungsschlages.

AFG: Wie bei den herkömmlichen Medien TV-/Radiogeräten der OFF Knopf.

HUS: Genau den. Aber kurz noch zur Penetranz. Penetrieren ist ja das Verb und dieses figuriert zwischen Vergewaltigung und Wohltat. Nun muss man unterscheiden. Wenn ich den Raum so abstecke, dass ich ihn zum Kunstraum erkläre, dann hat der Rezipient in einem liberalen Kontext zwar das Recht zu kritisieren, aber er hat nicht das Recht ändernd einzugreifen oder zu zensieren oder zu verbieten, es sei denn, das Werk ist so strukturiert und fordert den Rezipienten auf einzugreifen. Er kann aber immer selber aktiv (künstlerisch) eine andere Position vertreten, das wiederum ist legitim. Aber nur blabla abgeben ist weder Kritik noch Kunst. So sind nun mal die Spielregeln. Jeder blamiert sich selber wie er kann.

AFG: Ich fasse zusammen: Formales Brandig; penetrantes Auftreten; geöffnete Kritikspalte; medial offener Netz- und Nutzraum, sind die wesentlichen Eckpunkte um zu verstehen, um was es dir geht? Hast du noch etwas zu den Inhalten hinzuzufügen?

HUS: Man diskutiert immer wieder die Frage, ob Kunst politisch engagiert sein sollte, oder muss, oder eben das Gegenteil. Das ist im Grunde keine schlaue Frage, da freie Kunst per se dies alles darf. Qualität entsteht weder durch Ausschluss noch durch Diktat. Und last not least ist sie immer auch ein Mix aus subjektiver und objektiver Herangehensweise an den Gegenstand. Wenn eine Gesellschaft sich entschliesst, gewisse Erzeugnisse als entartet zu bezeichnen, was soll man dann tun? Mein Vorschlag ist: Abwarten.