Einiges zum Fall (von) Günther Grass
von A.F. Grazi
Am Ostersamstag 2012 brachte ZDFinfo eine mehrstündige Dokumentation über die Geschichte der SS und auch der Waffen SS. Es kamen Opfer, aber auch ehemalige Mitglieder der Waffen SS zu Wort. Schade, hier hätten einige Worte von Grass hin gepasst. Ich schliesse mich Adolf Muschg an, was den Vorwurf des Antisemitismus angeht. Grass ist kein Antisemit. Ich halte es zudem für gefährlich und kontraproduktiv, wenn man damit allzu schnell zur Hand ist. Würde ich dieser Äusserung nun den folgenden Satz nachschicken, würde mir der Vorwurf des Antisemitismus mit Recht gemacht. "Der Antisemitismus darf nicht als Käseglocke missbraucht werden, die keine Fliegen rein lässt, aber auch keine Gerüche nach aussen." Die Nazis haben mit solchen Bildern operiert um von realen Menschen abzulenken. Man wollte als Kulturmensch nicht Menschen umbringen, also hat man die Juden Untermenschen, Läuse, Ungeziefer genannt.
Natürlich ist die Wegstrecke kurz von Israel, das nach Grass den Weltfrieden gefährdet, hin zu jüdischen Weltverschwörungstheorien der Nazis. Wenn also der der Makel im eigenen Nacken nicht zu tilgen ist, hätte ich an Grass Stelle alles daran gesetzt, keine neuen aufkommen zu lassen. Was Grass gesagt hat ist vielleicht sogar gut gemeint. Leider ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Weshalb er für das was er zu sagen hatte, ein Gedicht strapazieren musste ist zusätzlich fragwürdig. Das Pathos in seiner letzten Tinte ist unerträglich. Das Verdikt des Antisemitismus nimmt er als Anzahlung für die erhoffte Mitgift, das Medienecho in Kauf. Das allenfalls könnte man als antisemitisch werten, es klingt wie das erzwingen eines Freipasses, es klingt gerade so, als hörte er schon die Stimmen von Ralph Giordano und Henryk M. Broder im Blätterwald. Diese "Dolchstosslegende" trifft die Literatur leider direkt ins Herz.
Ebenso sind aber die Aussagen des israelischen Innenministers eine Form von hausgemachtem Krypto-Antisemitismus, indem er aus dem Grass'schen Gedicht politischen Gewinn abholt. Wer den Antisemitismus zu eigenen politischen Zwecken instrumentalisiert, ihn leichtfertig oder ungerechtfertigt als Etikettierung verwendet, begünstigt ihn. An dieser Stelle verweise ich auf die Kommentare von Gideon Levi in der "Haaretz", der eine differenziertere Haltung zu der Geschichte einnimmt. Es sei besser, so Levi, wirklich zuzuhören, bei dem was gesagt werden muss und "besonders endlich das Verbot aufzuheben, Israel in Deutschland zu kritisieren."
Grass die Einreise nach Israel zu verbieten, ist ebenfalls Pathos im luftleeren Raum.
Wer die Israel Iran Krise verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass ein Angriff auf die neue Atomanlage in Fordow bei Ghom für die Israelis im Alleingang nicht zu bewältigen wäre. Ohne die grossen Bunkerbrecher der USA, den MOP (Massive Ordnance Penetrator) sind die Bunker nicht zu knacken. Ein MOP ist 13 Tonnen schwer und durchschlägt 60 Meter Stahlbeton. Kein israelisches Flugzeug kann diese Bombe transportieren und abwerfen. Barak Obama hat Israel eindringlich vor einem Alleingang gewarnt. Grass hätte demnach die USA in seine Poesie einbeziehen müssen. Vielleicht steht Amerika noch auf der Reiseliste des Literaturnobelpreisträgers.
Was allerdings gesagt werden muss, und das verlangt unser Präsident Bolar vom UN Sicherheitsrat schon lange: Rigorose Kontrolle aller Arsenale dieser unserer Welt, der atomaren wie der biologischen und chemischen. Der Weltfrieden sei dauernd in Gefahr von allen Seiten. Bolar hat sich ebenfalls in die Nesseln gesetzt, als er der Welt einen US-Präsidenten wünschte, welcher keinen fundamental christlichen Hintergrund habe, da sonst Harmagedon etwas näher rücke. Besorgniserregend seien auch die "herumliegenden" nuklearen und chemischen Restbestände der alten Sowietunion so wie alle Kernkraftwerke, die als schmutzige Bomben nur so herumstehen und auf einen Terroranschlag warteten. Jens Alderson, der in Sehnah lebende Deutsche Lyriker, hat Berenanews das Gegengedicht "Schalen des Zorns", als Antwort an Günther Grass, zum Abdruck vorgelegt. Alderson weist auf eine seiner Meinung nach ebenso grosse Gefahr für den Planeten hin, die Klimaerwärmung. Hier seien alle gefordert, wir alle seien Selbstmordattentäter.
Die Schalen des Zorns
Gedankenfolge als Gegengedicht von Jens Alderson
warum schweigt er nicht
schreibt gealtert
und das mit dem pathos letzter tinte?
-
ganz einfach,
weil Israel ganz allein den weltfrieden
gefährdet
-
der heuchelei des dichters überdrüssig,
da steh ich nun ich armer tropf
die beine lahm
und dumpf der kopf
schwer im nacken regale voller bände
starre bang mir in die augen
kritzle online an die wände
ohne tinte einzusaugen
ausgesetzt dem weltenfrieden
in dem ich
durchaus zu weilen ruhig schlafe
mitunter unruhig träume
mein los
tatenlos, hilflos, rastlos, ratlos, spurlos
quatsch, nach auschwitz ist kein gedicht mehr möglich denke ich
wer sich mit frauen und kindern in die luft sprengt
denke ich
ist kein mann
ist kein soldat
und schon gar kein märtyrer
ist nur ein trauriger, von wahnsinnigen verführter irrer,
der mit dem pathos allerletzter tinte
einen tiefschwarzen schlussstrich zieht.
müsste man nicht fragen:
wieso mensch erfindest du nicht weisere götter,
wieso muss für alles
ein dummkopf herhalten?
oder mit dem dichter sinngemäss in marmor gemeisselt
stellt sich der mensch auf ellenhohe socken
bleibt er auf seinesgleichen hocken
oder:
hört der mensch auf geistersagen
darf hinaus er sich nicht wagen
bleibt drinnen sitzen auf dem topf
und meint, sein arsch sei ihm der kopf
so bin ich geneigt ganz laut zu denken:
israel die atommacht
zieht nicht los alles niederzubrennen
was da kreucht und fleucht
wie einst die waffen ss.
oder:
jerusalem eingekesselt im "weltfrieden"
eines gebrochenen gottes
im schlagschatten
alter kreuz- und querzüge
oder:
in israel holt sich die al kaida
die legitimation, die zündschnüre
für ihre brandherde
hüben und drüben
oder:
ahmadinedschad,
der auschwitz leugnet und auf den mahdi wartet,
auf dr. seltsam, den verborgenen erlöser,
den letzten boten des himmels,
als kopf einer langstreckenrakete, vielleicht?
oder:
erstschlag atomar?
wohl kaum,
israel schreibt durchaus konventionell
mit filzstift mit kugelschreiber.
was da heisst:
den chirurgischen blattschuss
gezielt durch alle bunkerhäute
hinein in die zentrifugen des wahns, denkbar
wenn auch nicht über alle zweifel erhaben.
fussnote1:
längst nicht mehr erstschlag
jom kipur, tag der versöhnung
Oktober 1973
tag der verhöhnung
fussnote2:
leute die atombomben bauen
sind mehr als nur maulhelden
gepaart mit selbstmordattentätern machen sie hilflos
sind endgültiger als alle andern.
fussnote3:
angedacht, die bombe in händen
ehemaliger siedler aus gaza,
her mit dem tintenfass!
auge um auge, zahn um zahn
anmerkung zu fussnote3
die paar spinner sind nur die halbe miete
die mehrheit will leben, will ruhe
im café atara in jerusalem
oder sonst wo
will alles andere als den atomaren holocaust
im zweistromland
prolog:
liebe gläubige,
liebe dichter,
liebe selbstmordattentäter
habt doch geduld
was gesagt werden muss, muss gesagt werden:
bald kollabiert eure erde
im göttlichen klima
glaubt ruhig an die sieben engel der natur.
sie giessen bereits den zorn
der geschichte
aus ihren schalen
so gesehen
sind wir alle
ein klein wenig
selbstmordattentäter.
wir reissen uns selber
fliegend, fahrend, verheizend
ja gar furzend
mit in den tod.
offenbarung:
was also,
wenn aus not diese letzte wehr?
was, wenn ein staat der frauen steinigt
im 21. jahrhundert
den längeren speer?
was wenn der kopf des mahdi reinigt?
könnte es sein,
dass dann,
ja dann erst
der weltfrieden aller
den euphrat, den tigris,
kurz
den bach runtergeht?
erst, wenn sich im zweistromland
alle seiten mit gleich langen spiessen
den fetten wanst durchbohren,
vedient armageddon seinen namen
zurück in dichters stube:
schreibt der dichter vielleicht
ohne dass er es merkt
wie damals
mit dem letzten tropfen blut
oder hängt er bereits am tintentropf?
bäumt sich da auf
im strahle eines letzten gefechts
auf den müllhalden nie zu tilgender schuld
die alte moralische instanz,
das ramponierte gewissen
der deutschen nation?
oder,
will da einer
ganz profan wie alle andern
wieder einmal im fernsehen
oder besser noch
im feuilleton kommen?
fragen über fragen
die frühen tinten
drohen zu bleichen
und die letzte
soll gleichsam vermächtnis werden
privates armageddon so zu sagen
erstschlag gegen das verdikt
den blauschwarzen mund
totgebadet
im tintenklecks
Leserbriefe:
Apropos Grass:
Franziska Rakete:
Grass ist echt krass! Ich meine das ganze Affentheater um ihn. Aber andererseits auch schön, wenn Kunst (falls es sich hier um solche handelt) die Gemüter international so bewegen kann (falls sie diese denn bewegt und nicht nur erregt hat…). Fazit: Grass sollte in das Top-Management internationaler Firmen eingeladen werden und Kurse darüber geben, wie man ein maximales Medieninteresse mit minimalem Aufwand erlangt! Durch leidliches Deutsch, mit oder ohne Reim, aber in jedem Fall in Versform.
Weg mit den Jungspunden des new public management und ihrem sms-Gestotter!
Die Generation 30+ ist total out! Die muss erst mal wieder Deutsch lernen, in Wort und Schrift!
Wenn es um erfolgreiche Kommunikationsstrategien geht, sind von nun an Männer über 80 gefragt. Womit sich gleich auch die Diskussion um das Renteneintrittalter nochmals und endlich wirklich revolutionär beleben liesse. Die Rente ab 85! Natürlich nur für weisse männliche Europäer, versteht sich ja von selbst. Und zu diesem speziellen Thema am liebsten nur von deutschen weissen männlichen Europäern. Deutsche Greise sind sowieso unanfechtbar, weil sie gar nicht erst in den Ruch der Gnade der späten Geburt geraten können… Der Silberrücken als Leitbild des zukünftigen Globalplayers!
Und apropos Umweltschutz: Rettet die Gorillas in Uganda und die Nilpferde im Okawango Delta!