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Das Schubladenmuseum (MOD, Museum Of Drawers) von Herbert Distel erstrahlt in neuem Glanz. Nach einjährigen Restaurierungsarbeiten steht es zur Zeit in der Stiftung Julius Baer in Zürich ausgestellt. Die Stiftung der Bank, welche schon das Projekt von Herbert Distel finanziert hatte, ist auch für die Restaurierung aufgekommen. Sie fördert junge Talente und hatte dem Multimediakünstler Jeremy Maret den Auftrag erteilt, ein elektronisches MOD zu schaffen. Dieses ist virtuell "begehbar". Bewegliche Touchscreens auf schönen Holzbrettern machen dies möglich. Zu sehen sind auch Videos der Restaurierung als auch ein Interview von Christian Zingg, Geschäftsführer der Julius Baer Stiftung, mit Herbert Distel. Im Frühjahr 2011 soll das MOD zurück ins Kunsthaus Zürich finden. Näheres über die Restaurierung und das Schubladenmuseum erfahren Sie auf der Seite www.schubladenmuseum.com.
Das Geniale muss nicht gross sein
Interview von Anna Felizitas Grazi mit dem Direktor des Schubladenmuseums Hans Ueli Siegenthaler
AFG: Sie sind von Herbert Distel als Direktor des MOD auf Lebzeiten eingesetzt. Wie ist das zu verstehen, das MOD ja ist nicht im üblichen Sinne ein Museum?
HS: Das wage ich zu bezweifeln. Das MOD ist vielleicht gerade im klassischen Sinne ein Museum. Ein Museum (als Hort) welches die ewigen Werte der Zivilisation zu verteidigen scheint. Das MOD ist ganz Archiv, statisch in seiner musealen Konzeption. Es lässt keine ephemeren Eingriffe zu. Klar, seine Besonderheit ist, darin ist das Statische auch begründet, es ist eine Objekt-Plastik.
AFG: Dann ist es aber auch als Plastik bereits antiquiert, denn der Begriff der Plastik ist bekanntlich längst nicht mehr nur statisches Objekt.
HS: Das bezweifelt auch niemand. Das MOD ist letztlich eine Art Geburt aus dem Ready Made, geboren aus dem Gütermann Korpus. Distel hatte nicht zuerst die Idee, ein sogenanntes Künstlermuseum zu ‚bauen’, Distel hat einen ähnlichen Korpus bei einem Galeristen gesehen, der Nägel, Schrauben und sonstiges Kleinmaterial darin aufbewahrte. In der Folge hat sich Distel bei Gütermann einen solchen Korpus beschafft. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Idee des MOD noch nicht geboren.
AFG: Mit anderen Worten, für Distel stand nie der Museumsdiskurs im Vordergrund?
HS: Ich glaube das darf man bejahen. Erst mit der Absage von Broothears dürften Ansätze des Diskurses ins Spiel gekommen sein. Ich wage zu behaupten, dass das ‚Einsammeln’, beschaffen der Werke für Distel den nicht unwesentlichen Teil des Prozesses ausgemacht hat. Gerade bei solchen Kunstobjekten wird der Prozess für den Künstler erlebbar und für den Rezipienten erahnbar. Ein Maler, der ein figuratives Bild malt, ist sich des Malprozesses weniger bewusst. Der informelle Maler oder Aktionsmaler schon eher, bei ihm wird der Malakt zum Prozess, während beim klassischen Maler die formulierte Intension im Abbild steckt.
AFG: Wenn Sie gerade die Malerei ansprechen, möchte ich einen kleinen Ausflug in die Zeit vor dem MOD anregen. Distel gehörte doch zu der Gruppe Bern 66, zu der Markus Raetz, Bendicht Fivian Roland Werro und neben anderen insbesondere Christian Megert gehörte. Hat diese etwas mit dem späteren MOD zu tun?
HS: Nein, oder besser nicht unmittelbar. Die Gruppe Bern 66, ich nenne sie selber die „lart pour l’Aare Generation“, stand stark unter dem Einfluss von Christian Megert, der einerseits mit seinem Manifest “Ein neuer Raum“ - einleitend schreibt Megert darin so ich mich denn erinnere: „Ich will einen neuen Raum bauen, einen Raum ohne Anfang und ohne Ende, in dem alles lebt und zum Leben aufgefordert wird…“
AFG: Und andererseits?
HS: Ja richtig, anderseits schlug der vielgereiste Megert Brücken zu der internationalen Avantgarde wie etwa den „“Nouveau Réalistes“, aber auch zu Fontana, Manzoni, Uecker und vielen anderen, die später im MOD Einzug hielten. Fortan reichten die traditionellen Mittel der Malerei und der Skulptur nicht mehr aus. Eine regelrechte Materialschlacht wurde losgetreten. Neben Glas, Spiegeln, Licht, Blech usw. kamen insbesondere die neuen industriellen Materialien wie Polyester zum Einsatz. Man orientierte sich wieder an den konstruktivistischen Ansätzen der zwanziger Jahre. Es begann eine analytische Auseinandersetzung mit Raumkörpern. Kugel und Kegel, Kugel- und Kegelschnitte, Würfel usw. wurden in allen möglichen Farben fabriziert. Eine eindrückliche Skulptur, die Tropfen von Herbert Distel, kann man vor dem Technikum in Windisch, Kanton Aargau, bestaunen. Distel selber landetet schlussendlich beim Ei aus Polyester. Das Ende der Plasic-Plastik-Aera bedeutete für Distel das Projekt Canaris.
Das Projekt Canaris, das Ei war bereits eine Skulptur, welche als Prozess, wohlverstanden, auf die grosse Reise über den Atlantik geschickt wurde. Distel ist für das MOD fast ein Jahrzehnt herumgereist und hat Künstlerkollegen besucht. Diese Geschichten sind in seinem Kopf. Das MOD erzählt sie nicht, es schweigt. An dieser Stelle habe ich unter anderem meine Aufgabe als MOD-Direktor wahrgenommen. Ich habe ihre Kollegin Gabi Zaun Fertl Anfang dieses Jahres angeregt, ein umfassendes Interview mit Herbert Distel, bezüglich seiner Reisen zu den MOD Künstlern, zu realisieren. Da Distel mir einige Episoden erzählt hatte, wurde mir sofort klar, diese Geschichten gehören irgendwie zum Werk. Distel sagt ja selber, er habe die Zeit damals eingefangen, doch was nützt seine Beute, wenn er sie für sich behält. Sicher, er hat in erster Linie an die Werke im MOD gedacht. Aber die Zeit ist mehr als das Ding.
AFG: Ich möchte den Faden Museumsdiskurs noch etwas weiter verfolgen. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Distel nicht ein Reformer des Kunstmuseums, im Gegenteil.
HS: Nicht ganz, Distel verfolgte auch den Ansatz, eines mobilen Museums, welches im Grunde irgendwo platziert werden könnte. Ich sage bewusst könnte, denn irgendwo platziert ein Distel natürlich nicht. Der ‚Heimathafen’ war ihm ein wichtiges Anliegen. So hat er beispielsweise das Guggenheim in NY ausgeschlagen, weil dieses den Korpus komplett, mit eingesetzten Schubladen, ausstellen wollte. Dies wollte Distel nicht, da er den Donatoren, den Künstlern, den Tribut der Sichtbarkeit schuldig sei, wie er mir erzählte.
AFG: Nun ist aber weder der mobile noch der mini Ansatz so neu. Beides hat Duchamp in seiner Valise vorweggenommen.
HS: Klar, was hat Duchamp nicht alles vorweggenommen, da haben Sie natürlich Recht. Das eigentlich Neue war im Grunde der Ansatz der Appropriation. Sie werden vielleicht nun sagen, schon Duchamp habe Bilder von unbekannten Malern signiert. Distel eignet sich zwar die Werke an, sie gehen gleichsam im MOD auf und bleiben aber dennoch sich selber. Auch die Autorenschaft bleibt erhalten. Man könnte sagen, Distel zitiert in seinem MOD die letzen Ansätze der Moderne und leitet so in die Postmoderne über.
AFG: Ich werde die Assoziation zum Monolithen von Kubrick irgendwie nicht los, obschon der Monolith von Distel weiss ist.
HS: Habe darüber auch schon nachgedacht. Insbesondere ist natürlich das, was ich vorhin angedeutet habe, nämlich der Übergang zur Postmoderne ins Blickfeld zu rücken. Der Monolith in Odyssee im Weltraum, welcher von Vormenschen auf die Erde gebracht wurde, enthält eine sonderbare Kraft, die sich bei Berührung auf die Affenmenschen überträgt. Sie werden in der Folge von Sammlern zu Jägern. Im MOD befindet sich die ebenfalls sonderbare Kraft der Moderne, noch nie in der Geschichte der Kunst sind so viele Ismen etc. parallel aufgetreten. Die Nachfahren, die Postmodernen, werden wieder zu Sammlern. Das “Diktat des Neuen“ hat ausgedient, es lebe das Zitat.
AFG: In der Tat eine bemerkenswerte Schlussfolgerung. Auf der anderen Seite frage ich mich jedoch, ob Distel der Kunst mit seiner, ich nenne sie einmal provokativ kritisch Verniedlichungsstrategie, nicht einen Bärendienst erweist. Ich denke da an das Diktum von Bazon Brock, der in seiner Konzeption von Museum vom Kunstrezipienten harte Arbeit abverlangt.
HS: Mein Namensvetter HUS, der Einfleischer von Sehnah, sagt Folgendes zur Kunst: „Kunst ist immer das was sie gerade nicht ist. Berührst Du sie um ihrer habhaft zu werden, entwischt sie Dir“. Er nennt die Kunst „die Unschärfe-Relation der Geisteswissenschaften“. Die harte Arbeit käme nach HUS dem Hintenherrennen einer Chimäre gleich. Klar, auch ich bin gegen einen oberflächlichen Kunstkonsum, aber ich finde der Rezipient hat das gleiche Recht wie die Kunst, er sollte frei sein.
Was die Verniedlichungsstrategie angeht, um Ihre Provokation aufzunehmen, die Gigantomanie in der Kunst ist meines Erachtens ebenso problematisch, ja vielleicht sogar problematischer, denken Sie an all die vollen Kunstdepots, und nicht wenig davon ist unter uns gesagt Sperrgut. Offensichtlich hatten die 500 MOD Künstler keine Berührungsängste. Natürlich haben auch nicht alle, die Distel angefragt hatte, zugesagt.
AFG: Ich kenne HUS sehr gut und habe mit ihm über seine Thesen oft gesprochen. Er fordert natürlich den Rezipienten auch auf, mutig zu sein und etwas zu wagen. Er fordert ihn auf, die Chimäre einzufangen, auch wenn dies ein Ding der Unmöglichkeit sei. Darin sieht er das Spielerische. Nach ihm ist in der Kunst das Falsche wie das Wahre vertreten. Nach ihm liegt die Kunst immer irgendwie dazwischen. Davon ausgegangen, dass für ihn das Kunstwerk ein Abfallprodukt des Prozesses ist, sieht HUS im Reden über Kunst und Werk einen Parallelprozess oder einen sozialen Akt, wenn man so will.
HS. Ja, und so gesehen kann man ebenso gut über kleine Werke sprechen, denn es sind wohl auch kleine Geister, die Opulenz mit dem Erhabenen verwechseln, wenn es denn so etwas überhaupt gibt.
AFG: Für Distel war ja das MOD ebenfalls ein Bruch mit seinem bisherigen Werk, was können Sie uns darüber sagen?
HS: Mit dem Projekt Canaris und dem Granitei schloss Herbert Distel seine Periode der Kunststoffskulpturen wie schon erwähnt ab. Er hatte in dieser Sparte, wenn man so will, Beachtliches erreicht. Wieso Distel dieses Terrain verlassen hat, müssen Sie ihn fragen. Wenn man sieht, wie ein Toni Cragg heute arbeitet, wäre vielleicht auch eine solche Karriere denkbar gewesen. Ich persönlich glaube, dass bei Distel das ‚Alchemisten-Gen’ dominant ist. Das für sich alleine stehende Kunstwerk aus dem Bauche des Schöpfers geboren, oder gar das gemalte Bild, sind ihm zunehmend suspekt geworden. Einmal hat er mir das sogar in etwa so gesagt: “Haben wir Bilder überhaupt noch nötig, ist es noch notwendig, Bilder herzustellen?“ Dies im Zeitalter des Iconic Turn, oder gerade deswegen, wohlverstanden.
AFG: Sie meinen, dass er sich der unbedarften “Zitatenmalerei“ nicht zur Verfügung stellen will?
HS: Vielleicht? Ich weiss es nicht. Er laboriert mit allem Möglichen herum. Aber eben vorwiegend auch mit Zitaten, während ein Bendicht Fivian, um ein Beispiel zu nehmen, den Weg zurück zu seiner Malerei gefunden hat und dazu steht. Auch das ist ein postmoderner Ansatz der legitim ist. Kürzlich wurden in der Kunsthalle Bern die Werke des 1965 geborenen Chinesen Zhang Enli ausgestellt. Da gab es Bilder zu sehen, wie sie Fivian schon malte, als Zhang Enli wohl noch zur Schule ging. Insbesondere ist mir ein Bild mit gemalten Kartonschachteln aufgefallen. Man kann beinahe sagen, leider ist Fivian kein “Exot“, kein Chinese, sonst hätte man es gewagt, die beiden nebeneinander provozierend als “Schanghai-Gruppe“ auszustellen.
AFG: Herbert Distel ist kommunikativ, er verschliesst sich nicht, wie dies andere Künstler tun. Sehen Sie das auch so?
HS: Ja, er ist ein Fragender, ganz Zoon politicon, wenn man so will. Kein Schamane, der wie Beuys abtaucht in die Urgründe des Seins, um das Politische an den Haaren aus dem Fettsumpf zu ziehen, oder gar Schweigender, der eine Wolke der Bedeutsamkeit ausbreitet indem er nichts sagt ausser, mein Werk spricht für mich, oder eben für sich. Einmal hat er zu mir gesagt: “Ich habe in der Schule die Mathematik, die Geometrie gern gehabt.“ Dies hat sich in seinen frühen konkreten Ansätzen plastisch herauskristallisiert. Das Analytische der Geometrie, das Bodenständige, ist ihm glaube ich geblieben. Er war einer der ersten, die das Organisieren und Managen von Kunstaktionen als wesentlichen Bestandteil ins Werk integrierten. Heute ist das Gang und Gäbe, wenn ich z.B. an Firmen wie die “Pippilotti GMBH“ oder andere denke.
AFG: Oder den “Damien Hirst Konzern“.
HS: Richtig. Distel hat mir einmal gesagt: "Heute kannst Du nur noch mit der ganz grossen Kelle anrühren. Denke an Leute wie Wim Delvoye, dem Schweinetätowierer oder Kackeproduzenten."
AFG: Was halten Sie davon?
HS: Nun, das ist sicher alles zeitgemäss und mediengerecht. Eine Gesellschaft, die zunehmend Sado-Maso Studios in Anspruch nimmt, weil sie den Untergang ahnt, flippt immer mehr aus. Es ist beinahe schon eine Plattitüde, wenn ich an den Untergang Roms erinnere. Mir ist das Gigantische suspekt. Broom nennt das Gigantische treffend Kulturbulimie. Ich frage mich laufend, wann ist beim Hochsprung das Limit erreicht, ab wo fällt die Latte permanent? Eine Bach Partita entsteht im Kopf, wenn man ein Bach ist.
AFG: Ja, aber Bach ist ein Jahrtausendereignis und so gesehen ist Bach gigantisch.
HS: Nein nicht gigantisch genial -, das ist der Unterschied. Das Geniale muss nicht gross sein! Lieber eine gutes Quartett als eine schlechte Sinfonie und eine schlechte “Sinfonie“, wenn wir gerade dabei sind, ist in “La Punta Della Dogana“ in Venedig zu sehen, wo ich gerade herkomme. Die momentane Ausstellung übertrift alles was ich an Gigantomanie bis anhin gesehen habe. Schade, dass die Brüder Chapman bei ihren an Modelleisenbahnanlagen anlehnenden Kompositionen, mit dem sinnigen Titel: “Fucking Hell“, Szenarien aus der Vergangenheit des zweiten Weltkriegs und des Holocausts bemüht haben. Offensichtlich fehlte es ihnen an apokalyptischen Zukunftsvisionen aus der "Kotztüte eines Mad Max", oder schlicht aus der Gegenwart. Weniger wäre mehr, da gelobe ich mir "mein Haus".
AFG: Ein vernichtendes Urteil. Bleiben wir in der Tat beim MOD. Gibt es geniale Werke im Schubladenmuseum?
HS: Schwer zu sagen, das Ganze ist genial - doch eines fällt mir ein - das von Nam June Paik.
AFG: Gehen wir auf www.schubladenmuseum.com und besuchen Mr. Paik.
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