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19.April 2010

Wenn das Fleisch wieder Wort wird

DGGH1

Interview Anna Felizitas Grazi mit HUS


DGGH1 Die grosse Gummihose N°1

A.F. Grazi hat HUS anlässlich der Vernissage in der Nationalgalerie interviewt. Im Brennpunkt des Interviews steht DGGH1 welche erstmals nach Jahren wieder vollständig montiert ausgestellt wird. A.F.G. ist eine gute Kennerin des Werkes von HUS, mit dem sie seit Jahren befreundet ist.

A.F.G: Dein Werk, insbesondere DGGH1 erinnert mich sehr an die Theorien von Lacan, aber auch an den Antiöedipus von Deleuze und Guattari, gibt es da eine Verbindung?

HUS: Als ich DGGH1 konstruiert habe -ich sage bewusst konstruiert - da es sich um eine Maschine handelt, obschon Teile davon Bilder sind, hatte ich von den Besagten noch nichts gelesen. Ich war noch zu sehr mit Adorno, der kritischen Theorie und mit Hegel beschäftigt. Zum Hausgebrauch wohlverstanden. Einiges hat mir später K.C. Broom näher gebracht und es gibt in der Tat Ansätze, die in den Poststrukturalismus verweisen. Insbesondere meine späteren Medientheorien „das kleine Glas“ sind noch eindeutiger in diesem Kontext zu sehen. Bei DGGH1 habe ich dem männlichen und dem weiblichen Prinzip ein weiteres angefügt, das ökonomische. In ihm werden die libidinösen Spannungen aufgehoben. Der Urschmerz, die Trennung von der Mutter, die Unmöglichkeit mit ihr wieder eins zu sein, wird durch eine irrationale Wachstumsidee kompensiert. Insofern wird in DGGH1 die Vorherrschaft des ödipalen Themas unterlaufen. Für mich ist der postmoderne Mensch geradezu in der analen Phase stecken geblieben. Dies gilt insbesondere in Überflussgesellschaften in denen das Überleben nicht von Primärbedürfnissen abhängt. Daraus geht die heutige Erfolgsgesellschaft hervor. K.C. Broom nennt diese Prozesse “Demokratisierung der Dummheit“. Diese Perversion hat im Banker seine höchste Ausgestaltung erreicht. Er handelt nur noch mit Exkrementen. Durch Ersatzhandlungen wie Kultursponsoring wird versucht, am wirklichen Leben noch etwas Teil zu haben. Doch das wirkliche Leben existiert schon lange nicht mehr, es ist ebenfalls nur noch ein Label, das von der Selbstverwirklichungsindustrie vereinnahmt wird und Sponsoring ist nicht mehr und nicht weniger als Marketing für das Gedärm des Kapitals. Alles nachzulesen in “Das Ganze ist das Dumme“ von meinem Freund K.C. Broom.

A.F.G: Deine Code-Bilder, die in Fleischfarbe umschlagen, sobald man in ihre Nähe kommt, sagen von sich: „Das Bild-Ich ist nicht das Ich.“ – „Le je n’est pas le moi.“. Knüpfen diese an Lacans Spiegelstadium an?

HUS: Vielleicht ist das etwas weit hergeholt, da die Bilder ja keine Subjekte sind. Aber Du hast recht. Indem ich ihnen Subjektcharakter zuweise, wie etwa in “This Painting is watching you“ wird das Bild zu einem Ich und der Rezipient zu einem Spiegel-Ich.

A.F.G: Ja, aber auch in den Bildern Mythos 1-3 sehe ich diese Sprachspiele. Ganz nach Lacan, ist das Bild bei dir ein “klein a“, ein libidinös besetztes Objekt. Slavoj Žižek bringt es noch besser auf den Punkt mit dem McGuffin-Begriff von Hitchcock. Die Bilder Mythos 1-3 tun nur so, als wäre der Mythos im Bild versteckt, dabei sind die Bilder selber der Mythos. Oder Bilder Aura N°1-?, da wird doch die Aura selber zu einem McGuffin. Oder anders gesagt, der Begriff Aura wird selber auratisch.

HUS: Das kannst du so sehen, wenn du willst. Wenn früher Titel wie “Komposition 1-XY“ benutzt wurden, verwende ich Begriffe wie Aura, Pathos oder Libido. Titel wie “Komposition“ bezeichneten z.B. eine abstrakte komponierte Aussage. Diese Bilder funktionieren nur, wenn man sie nicht zum Bildwert nimmt, sondern zum Zeichenwert. Pathos, Aura, Libido verweisen auf sich selbst und gehen damit über das Bild hinaus. Die Tautologie Pathos des Pathos, verweist auf den Begriff. Das Pathos erscheint in reiner Form, als Pathos seiner selbst. Wenn bei der Komposition von Kandinsky der naturalistische Gegenstand aufgegeben und die Abstraktion eingeläutet wird, wird hier der metaphysische Begriff z.B. der “Aura“ im Titel selber preisgegeben und ad absurdum geführt.

A.F.G: Das Erstaunliche ist meiner Meinung nach, dass genau das Gegenteil eintrifft. Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in der die Bezeichnung, das “Label“, wichtiger ist als der Gegenstand.

HUS: Ja, das ist der logothetische Ansatz den ich früher noch zentraler gesetzt habe, heute geht es mir mehr und mehr um die Tatsache, dass Glaubenssysteme, Religionen und andere Absurditäten wie etwa die Scientology Kirche, sehr stark die Gesellschaften bestimmen. Dort wo die Kunst die Stelle der Religion eingenommen hat flimmert die Aura, das Werkpathos, das Erhabene, der Weltgeist, was weiss ich. Hier schlägt Aufklärung wieder in Verklärung um.

A.F.G: Stichwort das Erhabene? Folgst Du darin Lyotard?

HUS: Lass mich aus Wikipedia zitieren, ich habe mir gedacht, dass du diese Frage stellst: Bei Kant entstand das Gefühl des Erhabenen dadurch, dass das sinnlich Angeschaute sich nicht in Begriffe fassen lässt und so das Denkbare übersteigt. Der Kunst kam dabei die Aufgabe zu, dieses sich entziehende nicht Denkbare entsprechend den Regeln des Geschmacks zur Darstellung zu bringen. Damit war für den Rezipienten zwar ein Gefühl der Unlust verbunden, was aus dem sich entziehenden emporstieg, die Form der Darstellung selbst jedoch, blieb gefällig, verständlich, erkennbar. Lyotard fordert nun für eine postmoderne Ästhetik des Erhabenen, dass auch die Kunstregeln des Geschmacks aufgegeben werden und somit die Form selber auf ein Nicht-Darstellbares anspielt. Die postmoderne Kunst verweigert den Trost der Form und des „guten Geschmacks“, der es ermöglicht, das Gefühl des Erhabenen zu teilen.

Forderungen, dass sich die Kunst wieder der Darstellung des Realen widme und somit am „Projekt der Moderne“ (Habermas) beteilige, trat Lyotard entschieden entgegen. Die Autonomie der Kunst ist nicht in Frage zu stellen, wer dies trotzdem tut, der erhält als Antwort hierauf: „Krieg dem Ganzen, zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir die Differenzen, retten wir die Differenzen, retten wir die Ehre des Namens.“

Das nicht Denkbare darstellen ist im Grunde nur als negativer Begriff des „nicht Denkbaren“ möglich. Nur der Begriff ist darstellbar und nicht der Inhalt des sinnlich Geschauten. Darin komme ich im Grunde der Forderung von Habermas entgegen, denn bei mir wird z.B. die Aura eine Realität.

A.F.G: Wie gehst Du vor?

HUS: Jetzt hätte ich beinahe geantwortet ich male ganz einfach “das Erhabene“. Spass beiseite, lass mich weiter zitieren:

„Lyotard zeigt sich von Kant zwar beeindruckt, lehnt es aber anders als dieser ab, dass das Subjekt seine Vernunftideen auf das Objekt projiziert. Er möchte dem Subjekt vielmehr das Hören auf die nackte Präsenz beibringen: Das Gefühl des Erhabenen ist daher nicht mehr das Gefühl des für das Subjekt unerreichbaren Dort, sondern es entspringt dem Hier und Jetzt: „daß hier und jetzt etwas ist, daß »es gibt«.“ Es ist das Wunder darüber, „daß etwas ist, und nicht viel mehr nichts.“ Hiermit einher geht für Lyotard die Schuld gegenüber dem Präsenten, dies (in der Kunst) zur Darstellung zu bringen – ein Prozess der freilich niemals abgeschlossen ist und so kommt es auf das Entstehen des Werkes an, nicht darauf, dass mit dessen Fertigstellung die Schuld „abbezahlt“ wäre. Was bleibt ist somit ein stets nicht darstellbarer Rest, etwas das sich der Darstellung entzieht.“

A.F.G: Du nennst diesen Satz, “den Satz vom Wunder“, und hast ihn in den Begriff der Inkarnation, der Fleischwerdung zentral eingebaut, ist das richtig so?

HUS: Bevor wir über Inkarnation und Einfleischungen sprechen, lass uns ein wenig abschweifen in weltanschauliche Dinge. Der Satz vom Wunder steht für mich in der Tat ganz zentral. Er kommt für mich noch vor dem “cogito ergo sum“, denn zuerst muss einmal ein “ETWAS“, eine “res extensa“ (physisch) sein, um eine “res cogitans“ (mental) folgen zu lassen. Es gibt kein Bewusstsein von Nichts, oder anders gesagt, kein Bewusstsein im Nichts. Natürlich ist ein “ETWAS“ ohne ein Bewusstsein zwar denkbar, jedoch im Grunde sinnlos und man könnte sich fragen, ob es nicht mit dem Aussterben des allerletzten Bewusstseins in sich kollabiert, frei nach dem Motto, nur ein gedachtes Universum ist letzten Endes ein Universum.

A.F.G: Wäre das dann nicht schon bei unserem eigenen Tod der Fall? Wieso unbedingt das letzte Bewusstsein?

HUS: Es ist dies ein etwas unterschiedliches Sprachspiel. Was Du ansprichst, ist Solipsismus. Das Subjekt ist darin das einzig Reale und träumt quasi seine Welt. Diese ist nur real, solange es lebt und diese Welt erlebt, ein geträumtes Universum eben. Dies bedeutet aber, dass ein Geist da sein muss, in einem ETWAS, von wo aus er diese Welt träumt, dieses Geistsubjekt müsste also in diese “Grundsubstanz“ zurückerwachen. Und bedenke, ich wäre es dann, der dich träumt, also sei auf der Hut (lacht).

Ich gehe in meinem bevorzugten Sprachspiel von einem realen Universum aus, das zwar nach dem letzten Subjekt noch da ist, da aber kein Subjekt mit Bewusstsein es mehr erfährt, es im Grunde nicht mehr da ist. Es wird zum Dasein im Nichtsein. Stelle ich die Frage noch radikaler und nehme ich an, wenn nie jemand (ein Bewusstsein) da war, ein Universum aber da ist oder gar mehrere, sind denn diese wirklich da?

Du merkst, diese Superposition ist widersprüchlich und schreit gerade nach einem Gott, der diesem Unsinn Sinn gibt. Du begibst dich unweigerlich in eine göttliche Position, wenn Du in ein nie vorhandenes Bewusstsein hinein eine Welt denkst, denn auch Du wärst dann nicht vorhanden, dieses zu denken. Immer wieder stossen wir auf die altbekannten Aporien und Selbstbezüglichkeiten und sollten im Grunde schweigen.

A.F.G: Aber können wir den Solipsismus ausschliessen?

HUS: Im Grunde nein. Er bleibt uns als Sprachspiel ebenso erhalten, wie alle anderen metaphysischen Ideen und Konstrukte und sie sind legitim als solche. Die Philosophie sagt ihnen nur wie einem Hündchen, „hopp ab ins Körbchen, ins Kästchen.“

A.F.G: Gibt es Sprachspiele, die dich beunruhigen?

HUS: Nein im Grunde nicht, ich tue mich etwas schwer mit meiner Position der Verneinung der Möglichkeit von letztbegründenden Aussagen. Mir scheint eben auch schon diese Position irgendwie zu autoritär und auch selber in sich widersprüchlich, da die Aussage, dass es keine letztbegründenden Aussagen gibt, ja selber eine solche ist. Und die Voraussetzung eines ETWAS als Grundsubstanz des SEINS ebenfalls.

Eine vage Hoffnung setze ich da in die Naturwissenschaften. Ich vermute, das Universum wird uns ewige Rätsel hinterlassen. Wir werden zwar Nüsse knacken wie etwa das menschliche Hirn oder das Genom, doch werden wesentliche Teile unscharf bleiben. Naturwissenschaft verhindert, dass auf metaphysische Fragen keine pseudophysikalischen Antworten folgen, da spreche ich insbesondere die Kreationisten an. Es zeichnen sich immer mehr endgültige Grenzen ab, diese haben mit Hilbert, Gödel, Heisenberg, Einstein und anderen begonnen. Ich denke, je mehr wir wissen, umso mehr gehen wir einem radikal agnostischen Zeitalter entgegen. Theologisch könnte man es so ausdrückenn: Wenn Gott will, dass wir an ihn glauben können (wenn wir willens sind, dies überhaupt zu tun), dann muss er das System so gebaut haben, dass der Zugang zu ihm nur auf dem Weg des Glaubens möglich ist, ein Wissen über ihn, die Möglichkeit eines Gottesbeweises muss von ihm radikal ausgeschlossen worden sein. Dies impliziert, dass man auch das Gegenteil glauben kann/darf, auch der Atheismus ist letztlich ein Glaube.

A.F.G: Wie argumentierst Du gegen Atheisten?

HUS: Nun im Grunde bin ich Atheist, da ich nicht an einen persönlichen Gott glaube und als Agnostiker eher eine materialistische Variante vorziehe. Dies ist aber meine begrenzte anthropozentrische Ausgangsposition, die nur begrenzte Sprachspiele zulässt. Aber um Deine Frage aufzunehmen, ich beginne ganz einfach mit dem Satz vom Wunder. Wenn dann mein Diskurspartner das Wunder zur Natur erklärt, stimme ich ihm zu und antworte, dann ist es halt der Satz vom Naturwunder. Wenn er mir dann das Standardmodell herunterbetet, frage ich ihn, woher denn dieses schon wieder komme usw. Das sind die üblichen unsinnigen Spielchen, die im Grunde nirgendwohin führen. Natürlich erscheint uns der Kosmos als eine riesige und wahrscheinlich geschlossene oder unendlich offene Naturmaschinerie. Ich bin aber der Meinung, dass dieser Diskurs in beide Richtungen offen bleiben muss.

A.F.G: Was ist dein Lieblingssprachspiel?

HUS: Der Versuch der Apokatastasis, der ewigen Wiederkunft von Nietzsche eine physikalische Begründung zu liefern. Wohlverstanden, nicht um irgendwelchen theologischen Allaussöhnungsgedanken Vorschub zu leisten. Eine ewige Wiederkunft könnte auf Grund eines pulsierenden Universums, dessen Nulldurchgang durch die Singularität einem Reset von Raum und Zeit gleichkommt, welches den Urzustand herstellt und die “beste aller möglichen Welten (Leibniz)“, neu entstehen lässt, die immer wieder eines Tages die unsere ist. Doch dem wird wohl nie so sein, wenn Teile des Universums durch Wurmlöcher verschwinden und dort andere bilden, es sei denn, auch dann noch entstehe ein immergleiches Universum, indem der Nulldurchgang, die Singularität diese Voraussetzung in sich trüge, unabhängig von der implodierten Materienmenge. Oder aber es entstehen unendlich viele Universen, die alle Zeit verschoben zueinander und ineinander existieren. Dies ergäbe zusammen erst das was wir als Ablauf der Zeit wahrnehmen. Die so ineinander geschachtelten Universen ergäben jenen Stoff aus dem Alles in der Zeit ist, vergleichbar den Bildern eines Filmes auf der zweidimensionalen Filmleinwand. Das Ganze pulsiert dann im Takt der Planck-Zeit tp, oder so ähnlich. Stoff für einen Roman, eine Fiktion, “<Gottes> grosse Maschine“.

A.F.G: Wäre das dann eine letztbegründende Aussage?

HUS: Leider nein. Es würde eben nur etwas über den funktionalen Ablauf aussagen und nicht einen Schluss auf eine Superposition zulassen. Ich habe mir dazu ein theologisches Sprachspiel nachgeliefert.

A.F.G: Das wäre?

HUS: Hier sind wir, das muss ich vorwegschicken, bei der Darstellung des Undarstellbaren angelangt. Das Absolute ist nicht darstellbar, da wir im Innern des Absoluten sitzen. Wir sind Teil des Absoluten. Das Absolute wäre fast vergleichbar mit der Antinomie von Bertrand Russel, dem Paradoxon aus der naiven Mengenlehre: Die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten.

Gödels Satz: Ein System kann nicht zum Beweis seiner eigenen Widerspruchsfreiheit gebraucht werden, scheint mir ein sehr wichtiger Satz zu sein. Da wir also Teil eines Ganzen sind, müssen wir aus dem Innern dieses Ganzen heraus operieren, quasi aus dem System selber heraus. Da aber unser System nicht dazu taugt, dies widerspruchsfrei zu erledigen, können wir aus ihm heraus auch keine letztbegründenden Aussagen vornehmen ausser der einen: Ein höheres Wesen vom Typus „Gott=das Absolute“, so es denn existiert (?), muss in sich zwingend auch alle unvollständigen Systeme enthalten. Es muss selber zugleich vollständig, als auch unvollständig sein. Daraus könnte man ableiten, dass ein absoluter Geist sich unter anderem auch in eine sich-selber-nicht-wissende Position bringen muss, um absolut zu sein. Diese Aufspaltung beinhaltet aber ein weiteres logisches Grundproblem, dasjenige der Gleichzeitigkeit. Diese aber dürfte eben in unseren Dimensionen nicht vollständig sein, sie ist für uns nicht nachvollziehbar. Die Umgangssprache verfängt sich in Aporien. Wir können das Absolute nicht denken oder darstellen. Dies, wie gesagt, nur ein Sprachspiel.

A.F.G: Gibt es Sprachspiele die Du nicht magst?

HUS: Gegen Sprachspiele habe ich generell nichts einzuwenden, da sie eben Sandkastenspiele sind. Was mir enorm zu schaffen macht, sind religiöse Systeme, an deren Anfang Offenbarungen gesetzt werden. Dazu gehören das Judentum, das Christentum und natürlich auch der Islam. Aber auch Geschichten wie die der Mormonen oder Abstrusitäten wie die von L. Ron Hubbart und seinen Scientologen. Alle diese Systeme ufern in unendliche schwer durchschaubare sinnlose Theologien aus, welche je länger sie durch die Gebetsmühlen der Geschichte gedreht werden, umso (pseudo-) akademischer kommen sie daher, umso verklärter versuchen sie Wahrheit zu stipulieren. Für mich gehören die theologischen Fakultäten an unseren Universitäten zu den allergrössten Ärgernissen. Ihre Existenz ist für mich ein intellektuelles Skandalon sondergleichen. Nimm zum Beispiel nur die drei klassischen Traktate, die die Fundamentaltheologie aus der Apologetik entnommen hat. In einem der drei soll die christliche Religion als Offenbarungsreligion rational begründet werden. Rational begründen kann man nur Massenpsychosen, hervorgegangen aus Mythen und Offenbarungen. Psychotiker selber sind aber schwerlich in der Lage, Rationalität zu entwickeln oder anders gesagt, es gehört gerade zu der Psychose, dass sie eine System um sich herum baut. Nimm nur die Zwiesprache mit Gott, schweigt Gott, so wird der Gläubige im Stich gelassen, antwortet er, so hat der Gläubige Stimmen, ein wohlbekanntes Phänomen, sind diese Stimmen des Teufels, kommt der Exorzist. Da spätestens frage ich mich, wo befinde ich mich hier eigentlich?

A.F.G: Mit anderen Worten Du sprichst den Religionen kategorisch ihren Wahrheitsgehalt ab?

HUS: Nein nicht den Wahrheitsgehalt, sondern den Wahrheitsanspruch. Da ich davon ausgehe, dass ein (hinein-) Wirken des Absoluten in kosmische Systeme zu einem Selbstwiderspruch führt, ist Offenbarung meiner Meinung nach nicht möglich. Und der vielgepriesene Logos, der Sinn, der Gehalt, oder eine immanente Vernunft, sehe ich nicht in der Natur. Diesen sehe ich nur in der anthropozentrischen, ich nenne sie die artifizielle, Vorstellung. Die Natur ist in vielen Belangen geradezu inhuman, ja grausam. Es kann also nur ein Menschensohn auftreten, der eine Idee, ein Sprachspiel über eine Gottesvorstellung oder einen solchen Sinn verkündet. In diesem Sinne wäre Jesus und Mohammed als auch Uriella und Joseph Smith jr. aus ein und demselben Holze geschnitzt. Mit der Erfindung der Psychiatrie und der Aufklärung nahm die Prophetie etwas ab. Heute nimmt sie zu, weil der Durchschnittsbürger der rationalen Welt der Naturwissenschaften nicht mehr folgen kann. Demagogischer Hokuspokus ist offenbar einfacher zu verdauen und wer als Spinner nicht gerade andere körperlich gefährdet, darf sich frei bewegen und sogar eine eigene Sekte gründen, was im Grunde auch gut ist so, denn nur der Pluralismus verhindert Klumpenrisiken welche zur Inquisition führen. Dies gilt leider auch für die Aufklärung, denn auch sie endete auf der Guillotine.


A.F.G: In letzter Zeit wird viel darüber debattiert, dass Künstler vermehrt wieder religiöse Inhalte ansprechen. Ist das bei Dir auch der Fall?

HUS: Mich interessieren als Künstler auch hier weniger die Inhalte, als die Prozesse. Die Liturgie, der Kultus, das Ritual ist eine ästhetische Formgebung einerseits der Kontaktnahme mit dem Numinosen, als auch der Huldigung desselben. Ich selber vermute an jenen Stellen, wo Gläubige das Numinose “zu wissen glauben“, im Grunde nichts ausser einer Hirnfunktion des Rezipienten. Diese Hirnfunktion beim Empfänger ist die Voraussetzung dafür, dem Kunstwerk jene “Energie“ zu verabreichen, die es zum Senden braucht, nämlich keine. Es genügt die reine Tatsache, dass es sich um ein Kunstwerk handelt und die Information wird abgeholt. Mehr noch, in der Regel wird über die Massen Information abgeholt, sogar oder gerade von professionellen Rezipienten. Je weniger der Künstler an Information über sein Werk verlauten lässt, umso mehr Information wird aus dem Werk gesogen. An dieser Stelle irritiere ich den Rezipienten mit imperativen Anweisungen. Meine Bilder sprechen den Betrachter direkt via den Bildtitel an, entmündigen ihn absichtlich. Diese Bevormundung hat so etwas Subversives und nimmt sowohl den Künstler als auch den Rezipienten und mit diesen die Kunst als auch die Kunstrezeption wider den tierischen Ernst.

AFG: Kannst Du uns deinen Ausspruch: “Kunst ist das Abfallprodukt des Prozesses“ erläutern?

HUS: Da muss ich etwas ausholen. Wenn Lyotard von Diskurs-Inseln oder kleinen Erzählungen spricht, dann sehe ich darin grosse Ähnlichkeit zu meinem Ansatz der Passionskästchen. In einem solchen Passionskästchen sitzt z.B. ein Philatelist mit der Lupe hinter seinen Briefmarken. Das Sammeln ist seine Passion. All seine „kleinen Erzählungen“ gehen aus von Briefmarken, Sonderausgaben, Ersttags-Stempeln etc. Er lebt in einem mehr oder weniger geschlossenen System, zusammen mit seinen Mitphilatelisten. Untereinander verstehen sie sich relativ gut. Sicher haben sie unter Fachleuten nicht immer Konsens. Aber mit einem Fussballer können sie sich als Nichtfussballer oder Nichtfussballfans kaum sinnvoll unterhalten. Die Fussballer sind in einem anderen Kästchen. Ihre Leidenschaft, ihre Passion ist das Fussballspiel. Vielleicht, kommen sie sich ein ganz klein wenig näher, wenn eine Fussballsondermarke zur WM erscheint? Es ging lange, bis ich mir selber die Fussballergilde in ein anderes Licht stellte, toleranter wurde und ihre Passionen anerkannte, als die ihren und nicht als die meinen. Mir selber sind diese Massenanlässe zwar ein Greuel, aber ich darf ja zu Hause in meinem eigenen Kästchen bleiben. Klar, wenn Hooligans ihre Krawalle lostreten, dann geben diese meiner ursprünglichen Abneigung erneut Futter, es entsteht erneut Dissens. Was hat das nun mit Kunst zu tun? Ganz einfach, Kunst ist in einer Kiste, in der viele Kästchen sind. In diesen Kästchen spriessen verschiedenste Passionen. Diese Passionen unterscheiden sich von denen des Philatelisten oder Fussballers nicht wesentlich. Ein Ausserirdischer, der nur die Hirnströme der Protagonisten misst, würde dies wohl feststellen. Klar, ein Künstler kreiert etwas. Manchmal ist es etwas Neues, manchmal ist es nur eine Appropriation und meist in einem Kontext. Ein Schreiner macht auch manchmal einen altbekannten Stuhl und manchmal gelingt im ein neuer Wurf, auch in einem Kontext, doch dieser wird in der Regel nicht extra zelebriert. Nun höre ich schon den Einwand, dass man das doch nicht Birnen und Äpfel vergleichen könne usw. Mir geht es aber auch hier um den Prozess, um die Handlung. Wenn ich sage, das Kunstwerk ist das Abfallprodukt des Prozesses oder des Werks im Sinne von Gewirktem, so ist dieses Wirken eine subjektive Erfahrung. Das Abgefallene, das Kunstwerk wird dann in unserer säkularisierten Gesellschaft aufgenommen als mehr oder minder wertvoller Warenfetisch. Hier entsteht erneut ein Prozess, der Prozess der Rezeption und der Vermarktung. Rezeption und Vermarktung gehen oft Hand in Hand. Ein schönes Beispiel für ein buntes Passionskästchen hat uns Clement Greenberg geliefert. Er hat sich für das Colourfield Painting eingesetzt wie ein Hohepriester. Wenn Formalisten seiner Prägung vor so einem Bild standen und hauchten, - it’s only feeling -, so zeugte das von einer ausgeprägten Passion, andere würden von Orgasmus sprechen. Für Greenberg war die aufkommende Popart ein Gräuel und die Raumbezogenheit der Minimal Art, welche doch oft in die Nähe puristischer Farbfeldereien kam, war dies der Einzug von Theater und Klamauk in die heiligen Hallen der Abgehobenheiten. Dazu kann ich nur in meinen eigenen Worten sagen: Wo immer ein Weltgeist beginnt zu flackern, sind nicht fern die Hühner laut am Gackern.

AFG: Heisst das für dich ist die Kunst primär der Prozess?

HUS: Nein, wenn schon, dann die Prozesse oder das Prozessfeld oder die Prozessumwelt. Dazu gehören alle Prozesse die mit Kunst einher gehen. Wie schon erwähnt, die Kunst ist die Kiste, der Begriff wenn Du so willst, alles was mit ihr zu tun hat sind die Passionskästchen in dieser Kiste. Auch das Museum ist ein Kästchen und nicht die Kiste. Die Kunst selber ist für mich immer das, was sie gerade nicht ist. Sie ist nicht fassbar, sie ist immer unscharf. Dies ist der Grund dafür, dass sie zeitlos funktioniert. Mir geht es aber darum, dass wir nicht Hierarchien bauen, also z.B. die Malerei als Begriff zu einer Kiste umfunktionieren, in welcher die Kästchen hard edge, action painting, post painterly abstraction etc. zu Passionskästchen werden was sie durchaus ja sind, aber eben in einer flachen Hierarchie. Auch die Kunstkiste sollte man streichen. Erst so bleiben die Kästchen auf Augenhöhe mit Fussball und Briefmarke oder wenn Du so willst mit der übrigen Lebenspraxis.

AFG: Du stellst also den Briefmarkensammler, den Kunstsammler, aber auch den bildenden Künstler als auch den Sportler wie den Handwerker auf dieselbe Ebene wenn ich das richtig verstehe.

HUS: Das ist insofern richtig, als dass aus ihrem Tun, aus ihren Prozessen, eine Passion hervorgeht, diese ist das entscheidende Kriterium. Aus den Abfallprodukten können allenfalls neue Prozesse entstehen, aus denen erneut Passionen hervorgehen, wie das Sammeln von Kunst etc.

AFG: Besteht nicht die Gefahr, dass wenn Du sozusagen den Primat der Passion postulierst, dass die Qualität der Werke darunter leidet, dass sich Kitsch, Dekadenz ja Geschmacklosigkeit breit macht?

HUS: Nun ich bin froh, dass bei unserem jetzigen System dies alles nicht der Fall ist und was noch eminenter ist, ist dass der Markt ja heutzutage gar kein Kriterium für sogenannte Qualität ist, dass die Auktionshäuser und die Stützkäufer und die ganze Kunstmafia - und hier kann man nun definitiv von einer Mafia sprechen – auch im weitesten Sinne irgend eine Rolle spielt. Es gibt ja bekanntlich auch weltweit keine Korruption und schon gar nicht in Kunstkreisen. Ich habe unlängst einen Vortrag einer Ethnologin gehört, welche berichtete, dass sie oftmals zu hören bekomme, wie schade es sei, dass vielerorts die Tanzröcke der schwarzen Eingeborenen in Afrika neuerdings aus bunten Plastiksäcken hergestellt würden, anstelle der mit Naturfarben eingefärbten Bastfasern. Nun die Eingeborenen seien sehr froh über diese leuchtende Errungenschaft, mit Naturfarben sei nie eine solche Buntheit zu erreichen.

Mit anderen Worten sie stellte bei den Tanzenden eine gesteigerte Passion fest. Es ist neue Farbe in ihr Leben gekommen. Auf der Seite nördlicher Bastrocksammler oder Bastrockvoyeure ist der Passionslevel dementsprechend in den Keller gegangen. Stellt sich natürlich immer die berechtigte Frage, wer tanzt da für wen.

AFG: Komme ich nun zurück zu deinen eigenen Abfallprodukten. So wie ich dich verstanden habe, ist deine Malerei, die Einfleischung, der eigentliche Prozess. Du hast mir auch einmal erläutert, dass dieser Prozess vergleichbar sei, mit alchemistischen Prozessen. Wie ist das zu verstehen?

HUS: Nun zwischen der Zeit der Alchemisten und unserer Gegenwart, haben die Naturwissenschaften aufgeräumt mit so manchem Aberglauben, die Alchemie wurde längst in die Ecke der Quacksalberei verbannt, beziehungsweise sie hat längst ausgedient und ist verschwunden. Im kleinen Glas vergleiche ich einen “gehäuteten“ Germaniumtransistoren (OC71) mit einem gläsernen Alembik, da sich die beiden, wenn man sie unproportional vergleicht, sehr gleichen. Nun wird im Alembik destilliert und im Transistor verstärkt oder transformiert. Mit zwei Schalttransistoren kann ein Flip Flop hergestellt werden. So nennt man einen 1-BIT Halbleiterspeicher, die Basis-Monade, das Neuron für ein KI-Gehirn. Die Herstellung des Steins des Weisen einerseits und das ewige Leben andererseits, waren Ansinnen der Alchemisten. Meine Code-Bilder sind schon komplexere Prozesse basierend auf dieser IT-Technologie. Das “Einfleischen“ indes verweist auf das Schöpfungsritual, aber auch auf die Seele-Körper-Problematik. Das Wort werde Fleisch. Geist beseelt Materie versus Materie beseelt sich selbst=Materie vergeistert. Mit der Einfleischung werden sowohl die Behauptungen der Metaphysiker als auch die Behauptungen der Konstruktivisten à la Carnap oder radikaler noch Foerster/Glaserfeld in einem Brei vermixt und ins Bild eingerieben. Dass der Körper eines Tages das Hirn mit ins Grab zerrt ist allen klar. Dass per Lobotomie einem Gläubigen heute schon das religiöse Zentrum aus dem Hirn entfernt werden kann, ist auch schon fast ein Gemeinplatz. Doch ist das schon die ganze Geschichte? Was, wenn wir aus einem Traum erwachen? Was, wenn doch alles viel komplexer ist? Wir wissen es nicht, das müssen wir uns eingestehen. Wie schon im Satz vom “Naturwunder“ besprochen, es ist der totale Wahnsinn, dass das alles ist!

Die Menschwerdung etc. All diese Fäden laufen in den verschiedenen Prozessen zusammen. Da ich einen objektiven Sinn nicht erkennen kann, muss dieser selber (subjektiv) erzeugt werden im Ritual unsinniger Handlungen, der Herstellung von Bildern und Objekten, die wiederum, von diesem Prozess abfallen als Abfallprodukte oder Kultgegenstände. Dieser selbstreferenzielle Vorgang erinnert an den alchemistischen Ouroborus. Ewige Wiederkunft oder Mythos von Sisyphus, versus Nirwana, Nichts oder das ewige Leben. Diesen Themen können wir nur mit etwas Galgenhumor begegnen. Dieser kommt auch in der grossen Gummihose N°1 zum Vorschein. Dieses Gerüst, das zum einen an “das grosse Glas“ von Duchamp anknüpft, dementsprechend alle Bestandteile einer Junggesellenmaschine beinhaltet und zum anderen den modernen Kreislauf einer speziellen Ökonomie abbildet. Es wird nicht über einen Prozess der Entfremdung z.B. ein Werkzeug hergestellt, welches man für Geld an einen Handwerker verkauft, damit dieser etwas anderes herzustellen kann, das wiederum jemand anderer für Geld kauft. - Nein! - Es wird direkt Geld hergestellt in Form von Preisbildern. Dieser Prozess findet in der grossen Gummihose statt. Das heisst das männliche wie das weibliche Prinzip sind in einem Prozess eingebunden, der nur noch der Vermehrung des Kapitals dient. Preisbilder sind demnach nummerierte Passionsschilder oder mit anderen Worten, Ikonen des Kapitals, die es zu küssen gilt. Sie besitzen ein perverses Innenleben. Einerseits sind sie von mir als Künstler klar als Wert definiert, andrerseits wird sich nie jemand an diese Vorgabe halten, sollten sich die Preise für Fleischfarbe auf dem Kunstmarkt hochschrauben. Umgekehrt sind sie jetzt nie und nimmer das wert, was ich vorgebe, da der Markt fehlt. Es gibt also auch hier keinen objektiven Wert, analog dem objektiven Sinn. Der Wert eines Bildes ist ein intersubjektives Konstrukt, welches im Marktprozess konstituiert wird.

AFG: Mir scheint, damit haben wir ein wenig deine Weltanschauung ausgeleuchtet, was nicht unwichtig ist, um deine Kunst zu verstehen. Ich möchte dir nun noch einige werkspezifische Fragen stellen, oder missfällt dir werkspezifische, soll ich abfallspezifische sagen?

HUS: Nein Du darfst ruhig Werk sagen, ich bezeichne mich ja nicht als Künstler ohne Werk, doch ist bei mir eher das Werkpathos das eigentliche Werk und nicht die Reliquien.

AFG: Also spreche ich dich auf einige deiner “Reliquien“ an. Eines deiner jüngsten Werke nennst Du “Allergorien“. Du verbindest die Allegorie und Allergie zu einem neuen Wort. Was kannst Du mir über dieses Werk sagen.

HUS: Es handelt sich um einen Zyklus von ca. 50 eingefleischten Tafeln aus einem Buch mit St. Galler Kreuzstichmustern. Basis, oder “Umwelt“ für die Kreuzstichmuster bildet auf den Tafeln ein Millimeterraster. Die Motive werden alle in kleinen Kreuzstichen ausgeführt. In dieser Welt passiert alles durch das Kreuz. Nun ist St. Gallerstickerei einerseits Handwerk, andererseits Tradition. Die Kreuze stehen nie aufrecht zu der stickenden Person, sondern liegend. Ich decke nun durch “Einfleischung“ die Umwelt soweit ab, dass nur noch einzelne Motive sichtbar bleiben. Ein Stern, ein Hirsch, ein Quadrat etc. Soviel zum Formalen. Die Allegorie ist ein Zeichen für eine andere Sache. So stehen die “Kreuzpixel“ für die christliche Religion, welche unsere europäische Kultur durchzieht. In unseren Staaten beruft man sich immer wieder auf dieses Fundament.

AFG: Das erinnert mich alles ein wenig an die Intertextualitätstheorie der Julia Kristeva “die effektive Präsenz eines Bildes oder Sachverhaltes, in einem anderen“.

HUS: Im Grunde kannst Du ruhig Text sagen. Ich unterscheide Bild und Text nicht so konsequent. Text ist immer auch Bild und Bild immer auch Text oder Zeichenfolge.

AFG: Du hast am Anfang Hegel erwähnt, eines deiner fortlaufenden Projekte sind die Bücher PdG II (Phänomenologie des Geistes II). Diese Leerbücher füllst Du mit Collagen und Zeichnungen. Collagen mit Bildern und Überschriften aus Tageszeitungen, Sachbüchern, Katalogen etc.

HUS: “Aus dem Kelche dieses Geisterreiches schäumt ihm seine Unendlichkeit.“ So endet Hegels Phänomenologie. Ich hingegen sammle das Tagesgeschehen, das Alltägliche, das Banale. Ich bin der “kleine Weltgeist“, der die kleinen Erzählungen festhält. In mir komme ich zu mir selber und werde mich auch wieder verlassen. Dieter Roth, der das hegelsche Werk verwurstet und gepökelt hat, hat dem Spuk dieser ganz grossen Erzählung damals ein Ende gesetzt. Der Weg wurde also frei, für eine neue Erzählung, PdG II.


AFG: Die Malerei ist tot, es lebe die Malerei! Was fällt dir dazu ein?

HUS: Nervernzuckungen! Alles nur noch Nervenzuckungen. Meiner Mutter ist einmal ein toter Fisch aus der Pfanne gesprungen. “Die Nerven“, hat sie gesagt, hat ihn abgewaschen, getrocknet, wieder in die Pfanne gelegt und einen Deckel darauf gehalten. Wenn ich male, dann sind es die Nerven meine Liebe. Ich male Malbücher aus, ich fleische ein, ich punze Madonnen, aber malen???

AFG: Das heisst für dich ist die Malerei tot?

HUS: Als Königsdisziplin würde ich meinen ja. Gepinselt wird da aber munter weiter solange es Pinsel und Farbe gibt. Ich bin allerdings der Meinung, dass es völlig egal ist mit welchem Medium man sein Passionskäschen füllt. Man ruft besser aus, die Mode ist tot, es lebe die Mode. Damit meine ich nicht die Leidenschaften der Schneiderzunft sondern die der Kunstgilde, ihrer Adepten und Stubengelehrten.

AFG: Verstehe ich das richtig, Du verortest die Kunst in einen subjektiven Bereich individueller Prozesse und sprichst ihr einen objektiven Geltungsanspruch ab. Müsste da die Kunstgeschichte nicht ebenso vom Lehrplan gestrichen werden wie die Theologie?

HUS: Kunstgeschichte ist ein Spezialgebiet der Geschichte und versucht, wenn sie redlich betrieben wird, keinen Kunstgott aus den Werken zu saugen. Der Weg der Kunst vom sakralen zum profanen Gegenstand zieht sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit, ebenfalls die Abfolge ikonoklastischer und ikonoduler Epochen. Aus dem Neolithikum z.B. sind uns nur Bilder, Skulpturen, Gräber und Bauwerke überliefert und keine Schriften. Der Versuch etwas Licht in diese Zeit zu bringen hat z.B. die rumänische Archäologin Marija Gimbutas in ihren Publikationen versucht. Geschichte konstituiert sich nun mal aus Überlieferungen, Texten, Artefakten Kunstwerken etc. Man kann sagen, die Geschichte verortet den Menschen in seinen verschiedenen Epochen und setzt dieses Vergangene in Relation zu der jeweiligen Gegenwart. Man kann weiter sagen, Kunsthistoriker schauen vom Kunstwerk auf die Geschichte und Historiker schauen von der Geschichte (unter anderem) auf das Kunstwerk. Oft kommen mir aber Kunsthistoriker vor wie Biologen, die den Auerhahn aus seinen Exkrementen herleiten, was nicht immer eine sinnvolle Betrachtungsweise für Kunst ist. Die Dekonstruktion des Werks entspricht nicht dem reziproken Prozess seiner Entstehung. Aus dem Werk kann der Prozess nur als Schein erahnt werden, in einem “interesselosen Wohlgefallen“ und dieser Schein könnte als Differenz vielleicht die vielbesungene Aura des Originals sein. Mit anderen Worten, das Mysterium bleibt so beim Rezipienten. Dem wirke ich insofern in meiner Arbeit entgegen, dass ich diese Differenz weitgehend zertrümmere. Es bleibt nicht mehr und nicht weniger als ein Text, etwas Farbe und Leinwand.

AFG: Ja, aber genau in der Farbe rettest Du die letzten Fragen hinüber.

HUS: So ist es. Die letzten Fragen und nicht die Antworten.