Wer oder was hat Schuld an der momentanen Finanzmisere?
In der christlichen und islamischen Tradition werden Zins und Wucher sprachlich gleichgesetzt. In Folge dessen wurden religiös begründete Zinsverbote ausgesprochen und ab dem Mittelalter die Juden in die Rolle des Bankiers und des Wucherers gedrängt. Weder die Juden von damals noch die Bankiers von heute sind die Schuldigen im Tanze um das goldene Kalb, sondern das System. Die Anreize für unseriöses Finanzgebaren sind systemimmanent und da bekannt ist, wie es um die Habgier des Menschen bestellt ist, sind Exzesse wie wir sie heute erleben nicht verwunderlich. Mitschuldig sind all jene, die solche Systeme politisch konsolidieren. In Demokratien ist dies das Volk, die Gesellschaft.
Was halten sie von den Aussagen des Schweizer Soziologen Kurt Imhof, der in der Berner Zeitung sagte: Den Mühlemanns und Ospels jetzt noch die Stange halten zu wollen ist unmöglich. Sie sind weg vom Fenster. Das ist eine Form von moralischer Lynchjustiz, die wir gegenwärtig erleben. Es geht nicht mehr um den physischen , dafür aber um den sozialen Tod.
Der Volkszorn ist begreiflich und die grössten Sündenböcke sind in der Tat unter den Managern zu suchen. Für Goldene Fallschirme und überrissene Boni haben Mann und Frau von der Strasse kein Verständnis mehr. Der viel besungene Wettbewerb der freien Marktwirtschaft treibt jedoch solche Blüten. Jeder will und muss die Nummer Eins werden. Das ist in einer Leistungsgesellschaft so, die eher dem Sozialdarwinismus folgt als einer sozialen Marktwirtschaft. Manager vergleichen sich ja auch gerne mit Spitzensportlern. Dies tue ich übrigens auch, wenn ich an all die Dopingskandale denke. Turbokapitalismus ist folglich die richtige Etikette. Schuld daran haben aber genauso die Mehrheit der mündigen Stimmbürger, die durch ihr Wahlverhalten den Neoliberalismus besiegelt haben. Deregulierungswut und Privatisierung der lukrativeren Staatsbetriebe haben die Gesellschaften zusehends an den Abgrund geführt. Bestes Beispiel ist das desolate Schienennetz der englischen Staatsbahnen, die unter Thatcher privatisiert wurden. Anstelle das erwirtschaftete Kapital in die Infrastruktur zu investieren, wurden hohe Dividenden ausbezahlt, was den Aktienkurs kurzeitig ansteigen liess. Das Ende der Aktie kam dann mit den ersten Zugunfällen und dem Bekanntwerden der Gründe. Der marode Laden wurde wieder dem Staat zurückgeführt zur erneuten Sanierung. Solche Systeme sind hochgradig kriminell.
Gibt es andere Beispiele?
Ja, nehmen Sie den Anstieg der Strompreise nach der Liberalisierung in der Schweiz. Politiker und Unternehmer sowie Bürger von Links bis Rechts waren der Meinung, die Preise würden sinken und haben ja gestimmt. Oder nehmen Sie den Untergang der Swissair. Das Vertrauen in die Classe Politique und in grosse Teile der Wirtschaft ist dadurch angeschlagen. Der Mann und die Frau von der Strasse fragen sich zu Recht, weshalb keiner von den schlauen und gut bezahlten Köpfen etwas bemerkt hat und ob die überhaupt ihr Geld wert sind? Nun, sie können sich auch fragen, ist ein Mafiaboss sein Geld wert?
Fast alle Spezialisten sagen heute, sie hätten den Kollaps seit langem kommen sehen.
Was glauben Sie? Auch Mafiabosse wissen was Sache ist.
Wieso wählt dann die Mehrheit der Stimmbürger eher bürgerlich?
In meiner Analyse des politischen Grundtenors verweise ich auf die Auswertungen der grossen Landeslotterien, die immer grössere Summen in zwei bis dreistelligen Millionenhöhen anbieten. Damit solche Summen zusammenkommen, müssen sehr viele Leute mitspielen. Jeder Teilnehmer wähnt sich dabei als möglicher Millionär und folgt dem Satz von K.C. Broom: Die Utopie des real existierenden Kapitalismus ist der Lottogewinn. Für viele ist eine soziale Gesinnung unvorstellbar, da sie bereits in Gedanken ihren Lottogewinn mit Anderen teilen müssen. Der Erfolg der bürgerlichen Parteien basiert auf diesem Mythos. Der Schweizer Schriftsteller und Politlyriker, Peter Lehner, hat dies treffend beschrieben: la-la-Landeshymmne, bla-bla-Blasmusik, to-to-Totto-Tote.
Sie bezweifeln das erst noch vor kurzem besungene Ende der neoliberalen Ära?.
Im globalen Markt ist es sehr schwer national zu regulieren, ohne dass der Wettbewerb beeinträchtigt wird. Dies ist das Hauptargument, das immer wieder angefügt wird. Jetzt, da eine internationale Krise ansteht, ist man offensichtlich gezwungenermassen bereit über den eigenen Gartenzaun zu blicken und international zu handeln. Man signalisiert aber klar, dass dies nur die Finanzmärkte betrifft.
Aber Boni und Managerlöhne sind über den Finanzmarkt hinaus ein Ärgernis?
Die schon vor der Finanzkrise geschmähten Boni sind im Grunde nichts anderes als eine Leistungslohnkomponente. Der Staubsaugerverkäufer zählt diese Provision seit eh neben seinem Fixum zu seinen Lohn. Nun ist aber ein Staubsauger nicht zu vergleichen mit einem faulen Kredit oder einer faulen Anlage. Ein Staubsauger überlebt in der Regel die Garantiezeit knapp, ARD Report zeigte am vergangenen Montag 27. Oktober eine erschreckende Reportage: Eine ältere Schauspielerin besuchte im Auftrag des Senders Banken um hohe Summen Geld anzulegen. Noch immer wurden der Dame Risiko-Anlagen angeboten, obwohl sie klar eine sichere Anlage wünschte. Die betagte Schauspielerin erhielt bei vier von fünf Banken Risikopapiere. Ein Insider hat dazu verdeckt ausgesagt, dass sie den Schrott beinahe nur noch an Rentner verklickern können, da die noch zu überreden seien. Von oben würden sie, so der Banker, arg unter Druck stehen, ihr Soll zu erreichen.
Gibt es noch Anlagen mit hohen Renditen?
Die höchsten Renditen sind in der Regel mit dem höchsten Risiko verbunden, was selbst von gebildeten Menschen ignoriert wird. Diese Risiko-Ignoranz nutzen unseriöse Finanzinstitutionen aus, das wird auch nach der Krise so bleiben.
Sie schreiben, das Grundproblem dieser Krise sind die Sparüberschüsse und die überzogenen Renditeerwartungen der Bankkunden.
Die Wohlhabenden und Reichen sind zu einem Klumpenrisiko für das System geworden. Ein System das auf Wachstum aufbaut, muss mit Geld gefüttert werden. Fliesst dieses Kapital auf die Konti einiger weniger, so verhungert das System. Der Kapitalismus braucht fleissige Hände, die Geld ausgeben und hungrige Mäuler, die essen was produziert wird. Am wenigsten benötigt werden dumme Kapitalisten.
Wer produziert denn noch?
Nach dem zweiten Weltkrieg liefen die Förderbänder heiss, es musste wieder aufgebaut werden. Dazu benötigte es viele Arbeiter und Arbeiterinnen. Die meisten dieser Arbeitsplätze sind heute durch Industrieroboter wegrationalisiert. Roboter geben in den Ferien kein Geld aus, weil sie keine Ferien haben, sie brauchen kein WC-Papier, haben nie Kopfweh, fahren kein Auto, gehen nie zum Zahnarzt usw. Sie ersetzen zwar gute Arbeiter, taugen jedoch nicht als Konsumenten, die das Wachstum fördern sollen. Da sie aber keine Lohn- und Lohnnebenkosten verursachen, werden sie dem Menschen vorgezogen. Die Roboter müssten wenigstens mit Lohnnebenkosten und Steuern belangt werden können sowie mit einer saftigen Abgabe in die Arbeitslosenversicherung. Aber da dies nicht in allen Länder geschieht, ist dies aus Wettbewerbsgründen nicht möglich.
Das ist Sozialromantik wir leben heute doch in einer Dienstleistungsgesellschaft?
Wem sagen Sie das? Von unseren Studienabgängern landen über 30 Prozent in Beratungsfirmen. Dort beraten sie relativ schnell schon als Juniorberater Firmen und Spitzenbeamte der Verwaltung, die offensichtlich nicht selber entscheiden können. Viele dieser Dienstleistungen sind virtuelle Wertschöpfungen ohne Nachhaltigkeit.
Was halten Sie von staatlicher Kaufkraftförderung durch Ausschüttung von Überschüssen?
Um eine drohende Rezession abzuwenden sollten keine Staatsüberschüsse auf das Volk verteilt werden, wie dies in der Schweiz momentan von gewissen Parteien gefordert wird. Dieses Geld versickert so nur in Rückzahlungen von bestehenden Schulden oder in kurzfristige Einkäufe oder gar in Ferien im Ausland. Der Staat sollte das Geld in öffentliche Strukturen wie Strassenbau, öffentlicher Verkehr, Schulwesen, Kultur, saubere Energie etc. investieren. So entstehen neue Arbeitsplätze und bestehende werden gesichert, dadurch wird reale Kaufkraft generiert.
Was raten Sie den Reichen dieser Welt?
Ich appelliere an die Reichen, ihr überschüssiges Kapital in die Öffentlichkeit zu investieren und es nicht in unsinnige Risiko-Finanzprodukte zu stecken, wo es früher oder später nur vernichtet oder gar in den Taschen von Abzockern landet.
Ihr Appel an die Banken?
Viele Banken haben ihren guten Ruf ruiniert. Der Schaden ist nur mit einem langen Atem und viel gutem Willen wieder zu beheben. Man hat es aber politisch zugelassen, dass aus Bankbeamten Kredithaie wurden. Diese Deregulierung hat nun ihren Preis. Wer in Risikogeschäften sein Geld verloren hat, ist selber Schuld, ausser er wurde regelrecht angelogen.
Ihr Wunsch an den Staat und an die Politik?
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber auch beim Staatswesen werden die Beamten abgeschafft und zunehmend durch schnell auswechselbares Personal ersetzt. In der heutigen Zeit ist es wichtig, dass Entscheide und Abläufe schnell abgewickelt werden. So wie es aber immer mehr Polizisten gegen die Gewaltverbrechen braucht, so braucht es immer mehr Beamte gegen die Wirtschaftsverbrechen und die organisierte Kriminalität. Wir wissen alle, wo das Geld dieser Banden landet.
Sie geisseln die Börse und verlangen eine Alternative?
Ein System, welches den Wert einer Firma in der Gerüchteküche zusammenbraut, basiert auf Alchemie und Esoterik. Ein Wirtschaftsystem, das zu 90 Prozent aus einer Luftblase besteht, ist des Teufels. Nur gerade 10 Prozent des Kapitals, welches an den Börsen gehandelt wird, entspricht einem realen Firmen-Hintergrund. Ich propagiere daher eine Börse, die nur einen Tag in der Woche geöffnet bleibt.
Was wird denn aus den Heerscharen von Börsenmaklern?
Schicken Sie die meinetwegen nach Las Vegas. Unter uns gesagt, fragen Sie doch einen Börsianer, was ihn die Hungernden in Afrika kümmern. Von mir erhalten sie eine analoge Antwort, gemünzt auf die Börsianer.
Was raten Sie den Unternehmen?
Unternehmen oder Aktionäre tun gut daran, das Lohnniveau oben massiv zu senken und unten anzuheben, wenn sie das kapitalistische System über die Runden retten wollen. Investitionen in sozial verträgliche Arbeitsplätze bezahlen sich langfristig aus. Ich rege seit langem ein Label für das soziale Produkt an. Ein Kleber, welcher sowohl auf heimischen Produkten als auch auf Importware darauf hinweist, dass ein Artikel sozial verträglich produziert wurde.
Was halten Sie von Salären in zweistelliger Millionenhöhe?
Zu den immer noch kursierenden Headhunter-Gerüchten, dass man gute Manager nur gegen überzogene Gehälter erhält, kann ich nur sagen, solche Gerüchte verdienen nicht einmal die Bezeichnung Mythos. Nehmen Sie doch ihren Paradeversager Marcel Ospel.
Die fetten Katzen werden die Topverdiener in England genannt, die ihre Millionenpakete mit Argumenten begründen wie, Sportler verdienen genauso viel, oder sie tragen das gleiche Risiko wie Unternehmer, der Markt gebe die Saläre vor, etc Doch all diese Gründe sind fadenscheinig wie der Autor des Buches Gierige Chefs, Dirk Schütz, belegt. Er zeigt auf, wie die verhängnisvolle Gehaltsspirale entstanden ist, welche Fälle besonders gravierend sind und was dagegen zu tun sei.
Was halten Sie von der Attacke des deutschen Finanzministers gegen die Schweiz?
Ich frage mich beinahe, ob Steinbrück absichtlich Öl ins Feuer schüttet, damit das Klima für die deutschen Abwanderer in die Schweiz eisiger wird. Die Abwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften ist nämlich ein beinahe ebenso grosses Problem wie die Steuerflucht. In der Sache bin ich seiner Meinung, Steuerhinterziehung ist kriminell. Der Ton ist jedoch unanständig und unprofessionell oder besser gesagt unstaatsmännisch.
Sehen Sie ein Ende der Krise?
Für mich ist die Krise erst behoben, wenn dieser asoziale Scheinkapitalismus durch einen sozialen Realkapitalismus ersetzt worden ist.
Wie sollte ein solcher aussehen?
Das ist ein weites Feld und würde unseren Rahmen sprengen. Doch eines kann ich dazu sagen. Es braucht ein anderes Grundnahrungsmittel für die Seele als Geld. Unser System fördert die Prostitution in allen möglichen Bereichen, sogar oder erst recht in der Kunst, wie die Exzesse im Kunstmarkt zeigen. Eigentlich müssten die Wertkonservativen hier ein Wort mitreden. Aber gerade in ihrem Lager herrscht eine Doppelmoral. Wenn es darum geht, sozial entgleiste Jungendliche oder einen Ladendieb einzusperren, da reissen sie das Maul meilenweit auf. Bei Wirtschaftsverbrechen verstummen sie und wollen sich offensichtlich selber nicht zu nahe treten.
Herr Belser, wir danken Ihnen für das Interview.