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11. April 2016

Merde d’artiste oder Art die Merde ist

Kaninchenköttelkaninchen (Dieter Roth)

Kleiner Essay über die Magendarmprobleme der Kunstkritik

von Anna Felizitas Grazi

Das Thema stinkt mir. Trotzdem gilt es professionell zu bleiben. Irgendwie augenscheinlich, der Film ist zuweilen die einzige Kunst, die so richtig harsche Kritik einstecken muss. In der Oper muss schon fürchterlich falsch gesungen werden, dass jemand ausgebuht wird, oder wie früher in Italien die Tomaten auf die Bühne geschmissen werden. Inszenierungen sowohl in der Oper wie im Theater geraten da öfter mal unter den Amboss der Beckmesserei. Apropos Beckmesser, vom Musikkritiker Eduard Hanslick, auf den Wagner in den Meistersingern anspielte, ist folgendes überliefert:

Die Wiener Tradition der Musikkritik war ein Freiraum für die Kunst der Polemik, der im Bereich der Politik seinerzeit noch enge Grenzen gesetzt waren. Berühmt wurde sein Verriss von Pjotr Iljitsch Tschaikowskis später weltweit gefeiertem Violinkonzert, der in den Worten gipfelte, das Werk „bringt uns zum ersten mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört“[

Zurück zum Film. Uwe Boll, der mir als Name auch schon mal über den Weg gelaufen ist, ist ein Filmemacher der Sonderklasse. So will denn etwa Wikipedia wissen:

Im April 2008 veröffentlichte der Computerspiele-Tester Robert Harvey im Internet eine Petition gegen Boll. Die auf dem englischsprachigen Portal petitiononline.com laufende Aktion erhielt innerhalb eines Jahres über 330.000 virtuelle Unterschriften, die Boll zur Einstellung aller Tätigkeiten im Filmgeschäft auffordern.[9] Boll selbst äusserte sich in einem Interview mit der Horrorfilm-Fanseite FEARnet gelassen zu der kritischen Petition: „Ja, ich weiss davon. 18.000 Stimmen sind nicht genug, um mich zu überzeugen.“ Auf die anschliessende Frage, wie viele Unterschriften nötig seien, um ihn zu überzeugen, antwortete Boll: „Eine Million.


Auf Boll bin ich bei meinen Recherchen zu Künstler und Scheisse wegen der Karikatur gestossen. So ist denn auch Boll nicht unbedingt das Thema dieses Textes sondern eben die Exkremente als Gegenstand der bildenden Kunst und eine Kunstkritik, der man das Wesentliche der Scheisse andauernd vorenthält, ihren Gestank.

Diese Tage las ich folgenden Artikel im Zürcher Tagesanzeiger, hier ein Ausschnitt:

….. Unter den Männern ist auch der amerikanische Künstler Mike Bouchet. Er und sein Team präparieren in diesen ­Tagen 80 Tonnen Fäkalien so, dass sie nicht verfaulen. Sie mischen Haufen mit Zement, Kalk und Pigmenten, damit sie richtig trocknen und dennoch nicht ausbleichen. Die Männer produzieren Blöcke, jeder wiegt 350 Kilogramm. Am Schluss werden es rund 300 sein, die in der Garage des Zürcher Klärwerks Werdhölzli auf den Abtransport warten. Später macht Bouchet im Migros-Museum für Gegenwartskunst eine Skulptur daraus für das Kunstfestival Manifesta.

Ein solches "Werk" hätte mir persöhnlich gereicht. Was Mike uns präsentieren wird ist wohl eine Carl Andre Skulptur der dritten Generation. Oder anders gesagt ein echtes Entsorgungsproblem. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Nun denn freuen wir uns doch trotzdem und sind dem guten Mike dankbar, dass er keine Mühe scheut, uns den Kunstgenuss eben erträglich zu machen. Man bedenke mit Ehrfurcht, was sich da so alles an Feinstofflichem in der Kacke eines Zürcher Alltages angesammelt hat. Ich werde nicht Müde Peter Bichsel zu zitieren, der einmal sagte: „Das provinzielle an Zürich ist, dass es meint es sei eine Weltstadt.“ Nun, da seine Scheisse ins Museum geht, wird es doch so etwas wie eine Weltstadt.

Ich war kürzlich in Biel, an der Ausstellung Habalukke im Neuen Museum Biel Schweiz. Die Ausstellung hat in Sehnah zu Reden gegeben, weil das Kulturministerium von Sehnah die Ausfuhr der Artefakte erlaubt hatte. An dieser Stelle soll nicht diese Ausstellung im Fokus sein, sondern eben unser Thema. Trotzdem ist mir etwas in Erinnerung gerufen worden als ich von Bouchet‘s achtzig Tonnen Zürcherscheisse las. Im Eingang des Museums in Biel sind Entwürfe von Museumsplakaten vergangener Habalukke Ausstellungen aufgezogen. Auf dem ersten Plakat auf der linken Seite, von einem Künstler, der nicht genannt wird, steht unten geschrieben:

KUNSTSCHEISSHAUS ZÜRICH

Hat der Künstler, der den Entwurf um 1975 gemacht hat, und den er vielleicht gemacht hat, weil sein richtiger Entwurf nicht angenommen wurde, aus Frust sozusagen, eine Vorahnung davon gehabt, was in Zürich einmal Realität werden sollte? Natürlich nicht, trotzdem ein lustiger Zufall habe ich mir gesagt. Sind wir also gespannt auf die Manifesta. Manifest heisst übrigens etwas handgreiflich machen. - Zurück zum Scheissthema.

Komisch, wenn ich Thema schreibe anstelle von Scheisse, ist mir irgendwie wohler. Nun es soll einem ja nicht immer wohl sein bei Kunst, so viel verlangen wir uns ab, da müssen oder dürfen wir durch. Ich werde auch nicht Müde den Sehnaher Kunstkritiker Bertheim zu zitieren. Der Kunsthistoriker und Galerist aus Berena hat einmal gesagt: “Die Berechenbarkeit eines Kunstskandals ist heute und erst recht in unserer freien Welt, umgekehrt proportional der Qualität eines Werkes.“

So eindeutig würde ich mich nicht festlegen. Auch die folgenden Werke haben einst die Gemüter bewegt. Der kleine Vegetarier von Dieter Roth hat aber für mich etwas Sinnliches. Vielleicht liegt es am Stroh.



Die Direktorin des Kolbe Museums sagt zu Dieter Roths Kaninchenköttelkaninchen:

„Auf den ersten Blick sieht’s aus wie ein Schoko-Hase. Doch die Skulptur von Dieter Roth (1930-1998) besteht aus Stroh und Häufchen. Sein Kaninchen erinnert an den berühmten Hasen von Albrecht Dürer. In der Kunstgeschichte ist das Tier ein Auferstehungs-Symbol. Das hat Roth humorvoll unterwandert. Damals war das ein Skandal! Heute steht das Köttel-Tier unter Glas. Zur Sicherheit. Denn nach über 40 Jahren riecht es sicherlich nicht mehr.“

Kommen wir also zum Superstar der Künstlerscheisse, zu Manzoni. Der italienische Künstler Piero Manzoni hat 1961 eine Kunstaktion gestartet, die berühmt geworden ist. Er hat seine eigenen Exkremente in Dosen abgefüllt und als „Künstlerscheisse“ verkauft - „merda d’artista“. 90 Dosen mit je 30g wurden abgefüllt, geruchsdicht versiegelt und zum Goldwert des Gewichtes verkauft. Das entsprach damals etwa € 30.000 pro Stück. Sämtliche Dosen wurden verkauft, sie befinden sich heute in Kunstsammlungen und haben einen deutlich höheren Wert. Bei einer Auktion im Hause Sotheby's erzielte eine Dose den Preis von 97.250 britischen Pfund.

Hier kommt mir unweigerlich der Sehnaher Einfleischer HUS in den Sinn, der da sagt: “Das Kunstwerk ist das Abfallprodukt des Prozesses.“ HUS misst dem Prozess mehr Bedeutung zu als dem Werk. Er sagt wohl, das Werk ist nicht unwichtig, es ist aber nur der Schatten des Prozesses. Er verweist dann darauf, dass dieser Prozess eben entweder die szeemannsche Obsession oder mit seinen Worten gesprochen die Passion sei. Nun bezogen auf Manzoni stellt sich unweigerlich die Frage, ob nun das Scheissen oder das Abfüllen oder gar beides in Kombination, die Passion sei. Ein Bekannter mit dem ich das Thema diskutiert habe, wir waren zusammen essen, hatte wohl die Lösung. Das Scheissen meinte er, ist die Obsession, das Abfüllen die Passion.

Der vielleicht beschissenste Artist, der mir über den Weg gelaufen ist, ist Andres Serrano. Seine Fotoserie “shit“ ist so kitschig grell und saftig aufgemacht, dass Exponate davon über jedem Esszimmertisch hängen müssten. Es könnte gut und gerne auch geschmolzene Schokolade sein, aber wer weiss das schon? Wir wissen es besser, Serrano hat sicher keine Mühe gescheut. Serrano ist bekannt geworden durch seine Fotoarbeit „Pissjesus“. Ein Kruzifix im Glas, gefüllt mit Urin. Dass diesem Bild der Erfolg nicht versagt werden würde, lag irgendwie fast auf der Hand, oder besser im Urin.



Ein anderer der ebenfalls nicht müde wird uns Sonntagschüler zu provozieren, ist der der amerikanische Künstler Paul Mccarthy. Er hat einen Hundehaufen von 33 x 16 x 15 Metern Größe geschaffen. „Complex Shit“ ist eine aufblasbare Skulptur aus Kunststoff und war 2009 Teil der Ausstellung „Jenseits von Eden. Eine Gartenschau“ im Zentrum Paul Klee in Bern.


Mein Kollege mit dem ich essen war, schockierte mich mit den Worten: "Zum Glück darf ich mir kein Bildnis von Gott machen."

Über Cloaca, die Maschine die den menschlichen Verdauungsprozess nachahmt und tatsächlich Scheisse herstellt, habe ich an anderer Stelle schon gesprochen. Sie wurde vom belgischen Künstler Wim Delvoye entwickelt und ist bereits in Museen auf der ganzen Welt ausgestellt worden. Mein Kollege, mit dem ich wie erwähnt Mittagessen war, hat sich die Frage gestellt, ob Cloaca eine Junggesellenmaschine sei. Er neige eher zum Gegenteil. Da Cloaca ihm die Vorstellung nehme, selber am Prozess beteiligt zu sein, was einer Schmälerung seiner zugegebenermassen etwas infantilen Libido gleich komme.


Sehr originell ist das nächste Werk. Nicht zuletzt, weil es sich der Neonröhre bedient. Neon ist immer wieder ein Kunstwerk wert, schliesslich gibt es auch noch heute Künstler, die ab und zu zum Pinsel greifen. Für die folgenden Bilder bemühen wir Martin Creed den Turner Preisträger von 2001.

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Und wer es noch nie gesehen hat, dem zeigt es Creed jetzt. Ein einsamer Mensch, ganz auf sich selbst gestellt in seinem sozialen Elend. Dem nicht genug, ein Frau sitzend im white Cube, sich entleerend, ausgestellt, vorgeführt, erniedrigt. - Quatsch, nichts von alle dem. Ganz einfach kalkuliert, ganz einfach ganz grosse Kunst. Hauser Wirth Kunst. Ob nun Saatchi und Saatchi und noch einmal Saatchi. Die Kunst ist zu sich selber gekommen, wie die Geschichte durch Hegel einst zu sich selber kam. Im Grunde hat sie Warhol erfunden, diese Kunst. Die künstliche Kunst. Die Kunst der Werber. Die, die uns Tomatensuppe in Dosen verkauft, damit wir eine Bisshemmung entwickeln, weil wir nicht ganze Dosen werfen wollen. Wir könnten ja jemanden verletzen.


Und last not least unser Hans Dampf in allen chinesischen Gassen. Uli Sigg. China ist ja so reich an Kunst geworden, reicher geht nimmer. China ist auch ein grosses Land. Viele Leute gibt es da, das muss man wissen. Da kommt einiges an Künstlern zusammen. So sie denn dürfen, oder wehe wenn sie losgelassen. Zuerst kamen die Russen, danach die DDR und seit einiger Zeit die Chinesen. Ach wie schön ist doch Kunst. Und so heisst es denn in den Gazetten über Uli Sigg:

Ein wahrscheinlich nicht ganz alltägliches Kunstwerk hat ein ehemaliger Botschafter aus der Schweiz in China erstanden.

Er kaufte sich für 34.000 Euro (schrecklich, diese ewigen Preisangaben) eine Replikation des Kunstwerkes "Die Venus von Milo". Soweit ist das ja vielleicht nichts Ungewöhnliches.

Eher ungewöhnlich ist, dass die Skulptur von Kindern unter Anleitung des chinesischen Künstlers Zhu Cheng aus dem Kot von Panda-Bären hergestellt wurde. Wieso von Kindern frage ich mich. Chinesische Pädagogik. Kunstgeschichte und Artenschutz in einer Skulptur versammelt. Dazu ein Gedicht: “ Noch gerade scheissen Panden auf die örtlichen Veranden“ oder so ähnlich. Vorher war das Kunstwerk in einem Museum ausgestellt, wo es auch viele Besucher anlockte. Wie immer, wenn es um Scheissdreck geht, wird der Geruch zurückgebunden. Die Vitrine hält der Kunst die Fliegen vom Hals. In Europa unvorstellbar, denn wir sind multikulti. Man stelle sich einen muslimischen Schüler vor, der mit dem Kot eines unreinen Tieres eine nackte Frauenbüste einschmieren oder gar modellieren soll. Aber die Chinesen, die kennen nichts, da geht alles, das sind richtige Tausendsassas.


Nun was soll die Polemik, das ist nun ganz und gar unprofessionell. Schliesslich habe ich auch viel über HUS unseren Einfleischer von Sehnah geschrieben. Auch er hat das Thema schon mal gestreift. Damals lebte er noch in der Schweiz und war besessen von Rekorden. So habe er denn die längste Grafik der Welt produzieren wollen. Typisch für unsportliche Jugendliche die trotzdem über sich hinauswachsen wollen. Die Grafik befindet sich auf der Abbildung hinter dem Objekt "wackere Mannschaft" und ist auf jedem Einzelpapier der WC-Rolle gestempelt. Der Titel ist “Saubermann und Nestbeschmutzer“ in Anlehnung an “Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch.


Die Junggesellenmaschine DGGH1 von HUS streift das Thema ebenfalls. Sie rekurriert auf den Dukatenscheisser, eine beliebte Metaphorik aus dem Mittelalter.




Bei HUS schliesst sich nicht nur der Schliessmuskel sondern auch der Kreis. Seine eingefleischten Malleinwände mit den Preisangaben, sogenannte Preisbilder (Preisschild und Gemälde in einem) entstehen laut HUS in der Maschine, in der grossen Gummihose N°1. Unweigerlich kommt uns der Satz: Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblösst, von Duchamp in den Sinn. Entblösst wird bei HUS die Ökonomie, die er in fast allen menschlichen Bereichen ausmacht. HUS sagt: Es geht dem Tier immer um den Stoffwechsel. Meinen Schlusssatz leite ich daraus ab: Das Erhabene erscheint uns immer dann, wenn die Kunst Gassi geht."